Dr. Susanne Creutzig, Prof. Dr. Jürgen Creutzig
1. Rechtsnatur
Rz. 231
Der Vertragshändlervertrag als solcher ist gesetzlich nicht geregelt. Er hat sich seit Jahrzehnten in der Wirtschaftspraxis herausgebildet. Seine Einordnung ergibt sich aus den gegenseitigen Rechten und Pflichten.
a) Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter
Rz. 232
Nach heute herrschender Auffassung ist er ein Dienstvertrag gem. §§ 611, 675 BGB, der eine Geschäftsbesorgung – den Warenumschlag für den Hersteller – zum Inhalt hat. Der VH leistet durch seine selbstständige Vertriebstätigkeit für den Hersteller wirtschaftlich nützliche Dienste i.S.d. § 611 Abs. 1 BGB; der Hersteller verpflichtet sich dagegen zur Gewährung einer Vergütung der geleisteten Dienste. Es liegt allerdings ein Sonderfall vor, da der Geschäftsbesorger – anders als der gesetzliche Normalfall vorsieht – auf eigene Rechnung tätig wird.
b) Interessenwahrungsvertrag
Rz. 233
Nach anderer Auffassung wird der Vertragshändlervertrag als Interessenwahrungsvertrag qualifiziert. Er wird dadurch geprägt, dass überwiegend die Interessen des einen Vertragspartners, hier des Geschäftsherrn, im Inhalt des Vertrages ihren Niederschlag finden; diejenigen des Geschäftsbesorgers hingegen sind entweder nicht oder nur rudimentär im Vertrag erwähnt. Der VH hat bei Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten in erster Linie die Interessen des Herstellers wahrzunehmen und hierbei seine eigenen Interessen – trotz seiner Stellung als selbstständiger Unternehmer – weitgehend unterzuordnen.
2. Vertragsstruktur
a) Dauerschuldverhältnis
Rz. 234
Der Vertragshändlervertrag ist grds. ein auf mehrere Jahre bindend eingegangenes Dauerschuldverhältnis. Aus ihm entstehen ständig neue Leistungs-, Neben- und Schutzpflichten. Es kann in längerfristigen Intervallen durch Kündigung aufgelöst werden.
Rz. 235
Die Erwartungen beider Vertragspartner sind i.d.R. auf den Aufbau von effektiven Vertriebsstrukturen, die erfolgreiche Marktbearbeitung für die Vertragsware und/oder die Steigerung der Umsätze gerichtet. Sie können nur im Rahmen dauerhafter Vertragsbeziehungen umgesetzt werden.
b) Formularvertrag
Rz. 236
Händlerverträge werden typischerweise schriftlich und als standardisierte Formularverträge abgeschlossen. Sie unterliegen damit der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB. Dabei gibt der Hersteller dem VH den Inhalt des Vertrages regelmäßig vor. Als marktstärkere Partei kann er i.d.R. seine eigenen Interessen und Belange ohne Schwierigkeiten ggü. dem VH durchsetzen.
Rz. 237
Die Verwendung von Formularverträgen hat des Weiteren den Sinn, die vertraglichen Beziehungen zu den Händlern zu rationalisieren und einheitlich auszugestalten. Denn die Hersteller sind nach § 20 Abs. 1 GWB verpflichtet, die Händler gleich zu behandeln, weshalb die Verträge grds. inhaltlich übereinstimmen müssen.
c) Rahmenvertrag
Rz. 238
Der Vertragshändlervertrag ist schließlich als ausfüllungsbedürftiger Rahmenvertrag zu qualifizieren. Hauptgegenstand des Vertrages ist nicht ein konkreter Leistungs- und Güteraustausch, sondern nur das künftige Geschäftsverhalten der Vertragspartner. Die niedergelegten Ziele, z.B. der Vertrieb der Vertragsware durch den VH, bedürfen zu ihrer Realisierung der Umsetzung durch zahlreiche Einzelverträge zwischen Hersteller und VH; es handelt sich um einzelne, jeweils neu abzuschließende Kaufverträge über die Vertragsware.
3. Anwendbarkeit von Normen für Handelsvertreter
Rz. 239
Aufgrund der Ähnlichkeit mit der rechtlichen Lage von Handelsvertretern wendet die Rspr. folgende Regelungen des Rechts der Handelsvertreter analog an: Das Wettbewerbsverbot, den Auskunftsanspruch wegen unzulässigen Wettbewerbs des Herstellers, § 86a HGB hinsichtlich der Pflichten des Herstellers, § 87d HGB zum Aufwendungsersatz, die Kündigungsfristen des § 89 HGB, die außerordentliche Kündigung nach § 89a HGB, § 90a Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 HGB zum Wettbewerbsrecht und § 89b HGB zum Ausgleichsanspruch (dazu unten unter Rdn 278 ff.). Keine Anwendung finden § 87 Abs. 2 HGB zum Bereichs- und Kundenschutz,