Rz. 60
Das Insolvenzverfahren ist ein Gesamtvollstreckungsverfahren. Nach der Verfahrenseröffnung gilt daher der Grundsatz der Einzelzwangsvollstreckung nicht mehr. Gemäß § 89 InsO sind Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Einzelgläubigern während der gesamten Dauer des Verfahrens grundsätzlich unzulässig (Vollstreckungsverbot). Dies betrifft nach dem Wortlaut der Norm bestehende Forderungen ebenso wie zukünftige. Anhängige Aufträge an den Gerichtsvollzieher sind daher unverzüglich einzustellen und nicht mehr auszuführen. Das Vollstreckungsverbot hat der Gerichtsvollzieher von Amts wegen zu beachten. Sofern dieser Zweifel an der Eröffnung hat, trifft ihn zusätzlich die Pflicht, bei dem zuständigen Insolvenzgericht nachzufragen.
Rz. 61
Sollte die öffentlich-rechtliche Verstrickung bereits teilweise eingetreten sein, so ist diese materiell-rechtlich unwirksam. Während der Dauer des Insolvenzverfahrens kann kein wirksames Pfändungspfandrecht entstehen.
Rz. 62
Sofern entgegen des Vollstreckungsverbots Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolgen, sind diese bereits qua Gesetz unwirksam, da unzulässig. Sollte hierüber Streit entstehen, ist die Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO der statthafte Rechtsbehelf.
Rz. 63
Hinsichtlich bereits vor Eröffnung erfolgter Vollstreckungsmaßnahmen greift die in § 88 InsO normierte Rückschlagsperre. Im Nachlassinsolvenzverfahren schließt die Sonderregelung in § 321 InsO die Anwendung des § 88 InsO nicht aus, da sie unterschiedliche Zeiträume abdecken. Vor dem Erbfall erfolgte Vollstreckungsmaßnahmen sind allein nach § 88 InsO unwirksam. Nach dem Erbfall kommen sowohl § 88 InsO als auch § 321 InsO zur Anwendung, wobei die Wirkung des § 321 InsO einen bestimmten Zeitraum erfasst, aber keine konkrete (Monats-)Frist wie § 88 InsO.
Rz. 64
Nach § 88 Abs. 1 InsO sind Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die innerhalb des letzten Monats vor Antragsstellung – maßgeblicher Zeitpunkt ist der Eingang bei Gericht (§ 139 Abs. 1 InsO) – erfolgt sind, unwirksam. Dies betrifft die Sicherung selbst, also i.d.R. das Pfändungspfandrecht. Hat der betreibende Gläubiger bereits Befriedigung aus der Zwangsvollstreckung erfahren, bleibt nur die Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO.
Rz. 65
Der Rückschlagsperre unterfallende Vollstreckungshandlungen sind absolut dinglich unwirksam. Kenntnis des Vollstreckungsgläubigers von dem Insolvenzantrag ist nicht erforderlich. Das Gesetz gewährt an dieser Stelle keinen Gutglaubensschutz. Als Rechtsfolge ist die Sicherung, die nach der Rückschlagsperre unwirksam sind, aufzuheben. Weigert sich der Gläubiger oder das Vollstreckungsorgan, die Pfändung aufzuheben, hat der Insolvenzverwalter Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO einzulegen.
Rz. 66
Der Systematik der Rückschlagsperre ähnlich ist die spezielle Vorschrift des § 321 InsO. Hiernach gewähren Pfändungspfandrechte, welche nach Eintritt des Erbfalls aufgrund Zwangsvollstreckung in den Nachlass erlangt wurden, im Verfahren kein Absonderungsrecht nach §§ 49, 50 InsO. Erfasst werden Vollstreckungsmaßnahmen, welche gegen den Erben ergriffen wurden; dies gilt auch für private Gläubiger des Erben. Nicht erfasst werden Zwangsvollstreckungen, die noch gegen den Erblasser gerichtet waren, diese sind weiterhin wirksam, jedoch ggf. anfechtbar nach §§ 129 ff. InsO. Der zeitliche Anwendungsbereich kann damit deutlich weiter als der des § 88 InsO sein. Die Rechtsfolge ist gleich, auch hier ist die absolute dingliche Unwirksamkeit der Maßnahme anzunehmen.