Rz. 92
Das Berliner Testament – mit oder ohne Jastrow´sche Strafklausel – ist weithin bei Eheleuten beliebt. Es führt zur Enterbung der Kinder, auch der minderjährigen Kinder, beim Tod des erstversterbenden Elternteils.
Beispiel
Der Vater stirbt und hat seine Frau, die Mutter des gemeinsamen Kindes, zur alleinigen Erbin eingesetzt. Das gemeinsame Kind ist damit schlüssig beim Tod des erstversterbenden Elternteils enterbt. Es wäre für diesen Fall auch dann enterbt, wenn es zum Erben des Letztversterbenden bestimmt ist.
Rz. 93
Der gesetzliche Vertreter der Kindes, im Beispielsfall nunmehr allein die Mutter (§ 1680 BGB), kann den Pflichtteilsanspruch des Kindes erfüllen; § 181 BGB steht dem nicht entgegen, weil es sich bei der Zahlung der Pflichtteils-Geldsumme um die Erfüllung einer Verbindlichkeit handelt. Nach anderer Ansicht soll die Annahme der Leistung zwecks Erfüllung der Pflichtteilsforderung nicht "in der Erfüllung einer Verbindlichkeit"(§ 181 BGB) geschehen, so dass der Minderjährige durch einen Ergänzungspfleger vertreten werden müsse. Als Begründung wird angegeben, dass dies nicht rechtlich vorteilhaft (§ 107 BGB) sei. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Der Wortlaut des § 181 BGB ergibt kein Erfordernis des "rechtlichen Vorteils" (vgl. auch Rdn 78). Zudem widerspricht es der Lebenswirklichkeit: Die Mutter sucht den Pfleger aus (§ 1915 BGB). Dieser nimmt die Zahlung entgegen. Damit endet die Pflegschaft. Er händigt das Geld der Mutter als gesetzliche Vertreterin ihres Kindes aus. Für eine umfassendere Pflegschaft, die auch die Verwaltung des Geldes bis zur Volljährigkeit umfasst oder für die Bestimmung der Anlage des Geldes, gibt es keinen Grund: man müsste der Mutter die Vermögenssorge teilweise entziehen (§ 1796 BGB).
Rz. 94
Gemäß § 195 BGB verjährt der Pflichtteilsanspruch in drei Jahren. Die Verjährung des Anspruchs beginnt am Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Pflichtteilsberechtigte von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste (§ 199 Abs. 1 BGB). Gemäß § 207 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist die Verjährung des Anspruchs des minderjährigen Kindes gegen seinen gesetzlichen Vertreter bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gehemmt. Dies entspricht der allgemeinen Meinung im Schrifttum. Aber: Meist wird ein Kind vom Tod des Erblassers, hier seines Vaters, schon vor Eintritt der Volljährigkeit Kenntnis haben. Kenntnis von der eigenen Enterbung muss es deshalb nicht haben; man denke nur daran, dass in einigen sozialen Kreisen die Regelung des Berliner Testaments als die gesetzliche Erbfolge angesehen wird. Zwar wird zuweilen das Wissen des gesetzlichen Vertreters analog § 164 BGB oder § 166 BGB ab der Volljährigkeit dem Kind zugerechnet. Diese Wissenszurechnung kann aber dann nicht erfolgen, wenn sich der Anspruch, der durch diese Kenntnis ausgelöst wird, gerade gegen den gesetzlichen Vertreter des Kindes richtet. Es kommt deshalb nicht auf die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters, sondern auf die des Vertretenen an, weil sich der Anspruch gerade gegen den Vertreter richtet. So kann es also auch zu einem Ende der Verjährung nach Vollendung des 24. Lebensjahres (21. Lebensjahr plus 3 Jahre Verjährung) kommen; sie endet spätestens gemäß § 199 Abs. 3a BGB 30 Jahre von der Entstehung des Anspruchs an. Jörg Mayer rechnet die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters von der Enterbung dem Kind zu, nimmt aber eine Aufklärungspflicht des (ehemaligen) gesetzlichen Vertreters, im Beispiel der Mutter, als gesetzesnähere Lösung an; deren Verletzung würde dann eine Verpflichtung zum Schadensersatz gem. § 1664 BGB auslösen.
Rz. 95
Mit der Hemmung der Verjährung ist es aber nicht getan: bis zum Eintritt der Volljährigkeit kann der gesetzliche Vertreter, im Beispiel die Mutter, zahlungsunfähig geworden sein.
Rz. 96
Soll nun das Familiengericht in allen Fällen, in denen minderjährige Kinder von einem Elternteil enterbt wurden, insbesondere also bei Vorhandensein eines Berliner Testaments, die Bestellung eines Ergänzungspflegers gem. § 1909 BGB zur Geltendmachung und Durchsetzung der Pflichtteilsansprüche veranlassen? Das Familiengericht erfährt meist von den Pflichtteilsansprüchen, deren Wert 15.000 EUR übersteigen, weil das Nachlassgericht in solchem Fall die Pflicht hat, dem Familiengericht Mitteilung zu machen (§ 356 Abs. 1 FamFG; vgl. Rdn 171).
Rz. 97
Die Frage, ob wenigstens in den Fällen, in denen der Pflichtteilsanspruch 15.000 EUR übersteigt, stets ein Ergänzungspfleger zur Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs eingesetzt werden muss, ist aber zu verneinen. Das Familiengericht wird aus diesem Anlass auf die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses gemäß § 1640 BGB dringen (siehe Rdn 99Rdn 156).
Rz. 98
Zwischen die Erfüllbarkeit des Anspruchs und die Möglichkeit, den Anspruch gegen den Elternteil als Erben durch einen Ergänzungspfleger geltend zu machen, hat man, d.h. Rechtsprechung und Schriftt...