Rz. 85
Während in den vorangegangenen Kapiteln dargestellt wurde, unter welchen Voraussetzungen die anwaltliche Pflichtverletzung für die vom Mandanten geltend gemachten Nachteile als ursächlich anzusehen und dem Anwalt haftungsrechtlich zuzurechnen ist, geht es nunmehr darum, ob und in welchem Umfang das eingetretene Ereignis als ersatzfähiger Schaden im Rechtssinne anzuerkennen ist. Dabei werden hier im Wesentlichen nur die Probleme behandelt, denen im Anwaltshaftungsrecht erhebliche Bedeutung zukommt. Andere Fragen sind nur angesprochen, soweit die Rechtsprechung dazu in einschlägigen Fällen Stellung genommen hat.
I. Differenztheorie
Rz. 86
Ob und inwieweit ein nach §§ 249 ff. BGB zu ersetzender Schaden vorliegt, beurteilt sich grds. nach einem rechnerischen Vergleich der durch das schädigende Ereignis bewirkten Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenen Umstand eingetreten wäre (sog. Differenzhypothese). Der haftpflichtige Rechtsanwalt hat den Mandanten vermögensmäßig so zu stellen, wie dieser bei pflichtgemäßem Verhalten des Beraters stünde. Die Differenzhypothese umfasst das Erfordernis der Kausalität zwischen dem haftungsbegründenden Ereignis und einer dadurch eingetretenen Vermögensminderung. Nur eine Vermögensminderung, die ohne das haftungsbegründende Ereignis nicht eingetreten wäre, ist als ersatzfähiger Schaden anzuerkennen.
Rz. 87
Die tatsächliche Gesamtvermögenslage muss derjenigen gegenübergestellt werden, die sich ohne den Fehler des Rechtsanwalts ergeben hätte. Hat etwa der Mandant einen gegenseitigen Vertrag geschlossen, von dem er bei sachgerechter Beratung Abstand genommen hätte, ist ein Schaden zu bejahen, wenn die mit dem Vertrag verbundenen Verpflichtungen und sonstigen Nachteile durch die Vorteile nicht ausgeglichen werden. Die Differenzrechnung darf nicht auf einzelne Rechnungsposten beschränkt werden, sondern erfordert einen Gesamtvermögensvergleich, der alle von dem haftungsbegründenden Ereignis betroffenen Vermögenspositionen umfasst. Es geht dabei nicht um Einzelpositionen, sondern um eine Gegenüberstellung der hypothetischen und der tatsächlichen Vermögenslage. Danach kann ein "(Einkommen-)Steuerschaden" aus der Veräußerung von Grundstücken entfallen, wenn ein günstiger Verkaufsgewinn abzgl. Steuern und der Verkehrswert der Grundstücke ohne Veräußerung einander gegenübergestellt werden.
Rz. 88
Bei der Schadensberechnung sind alle Folgen des haftungsbegründenden Umstands bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in die Schadensberechnung einzubeziehen. Auch die nach der mündlichen Verhandlung mit Wahrscheinlichkeit zu erwartende weitere Schadensentwicklung kann berücksichtigt werden. Substanziierten Vortrag zur Entwicklung der Schadenshöhe hat der Richter zu beachten. Nur wenn der Schuldner schon früher seine Ersatzpflicht erfüllt hat, werden ihm spätere Folgen nicht mehr zugerechnet.
II. Normativer Schaden
1. Grundsätze
Rz. 89
Das nach der Differenzmethode gewonnene Ergebnis bedarf einer normativen Kontrolle, die am Schutzzweck der Haftung sowie an Funktion und Ziel des Schadensersatzes ausgerichtet ist. Dies führt einerseits zur Erweiterung des Anspruchsumfangs. So hat die Rechtsprechung in einer unrichtigen Buchung auf dem Konto des Bankkunden einen Schaden gesehen, obwohl dessen Vermögen sich nach der Differenzrechnung nicht verändert hatte, weil die unberechtigte Buchposition ihn in seiner wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit beeinträchtigte. Auch der Verl...