1. Grundlagen
Rz. 43
Ist der Schadensfall das Ergebnis einer Reihe ineinandergreifender Ursachen, wird häufig darüber gestritten, ob das dem Anwalt zur Last fallende Verhalten in Anbetracht der übrigen kausal gewordenen Umstände noch rechtserhebliche Bedeutung hat. Nach ständiger Rechtsprechung wird im Schadensersatzrecht allgemein jede Handlung oder Unterlassung als adäquat ursächlich angesehen, welche die objektive Möglichkeit eines Nachteils der eingetretenen Art generell in nicht unerheblicher Weise erhöht hat.
Rz. 44
Die Prüfung erstreckt sich auf alle zur Zeit des Eintritts der Begebenheit dem optimalen Beobachter erkennbaren Umstände und bezieht auch das erst im Zeitpunkt der Beurteilung zur Verfügung stehende Erfahrungswissen ein. Gefordert ist eine wertungsgeprägte Entscheidung, bis zu welcher Grenze dem Urheber einer Bedingung deren Folgen billigerweise zugerechnet werden können. Ist dessen Verhalten im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet, den eingetretenen Schaden herbeizuführen, wird die Adäquanz und damit ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten und dem eingetretenen Schaden bejaht.
Rz. 45
Im Anwaltshaftungsrecht tritt diese Problematik regelmäßig in der Weise auf, dass der Mandant selbst oder Dritte willentlich in das Geschehen eingegriffen und damit das Ergebnis beeinflusst haben. Gleichwohl wird die Vertragsverletzung dem Anwalt in aller Regel haftungsrechtlich zugerechnet. Dessen Pflichtwidrigkeit bleibt nur dann als nicht schadensadäquat unberücksichtigt, wenn sie in keinem inneren Zusammenhang zum eingetretenen Schaden steht, vielmehr nur den äußeren Anlass für ein völlig ungewöhnliches Eingreifen eines Dritten bildet.
2. Handlungen des Mandanten
Rz. 46
Ein eigener selbstständiger Willensakt des Geschädigten schließt es nicht aus, demjenigen die Schadensfolge zuzurechnen, der die Kausalkette in Gang gesetzt hat. Wurde die Handlung des Mandanten durch das haftungsbegründende Ereignis geradezu herausgefordert oder bestand für sie ein rechtfertigender Anlass, so bleibt der Zurechnungszusammenhang mit dem Verhalten des Anwalts bestehen. Der Begriff des rechtfertigenden Anlasses ist in einem weiten Sinne zu verstehen. Es genügt, dass es sich um eine Entschließung handelt, die nicht als ungewöhnlich oder gänzlich unangemessen zu bewerten ist.
Rz. 47
Die Beendigung einer rechtlichen Auseinandersetzung durch Vergleich oder durch eine Verständigung im Betriebsprüfungsverfahren ist i.d.R. als vernünftige Reaktion in diesem Sinne anzusehen. Hat der Mandant die Entscheidung, Wertpapiere zu verkaufen, ersichtlich von den steuerlichen Wirkungen des Verkaufs abhängig gemacht und unterlässt er aufgrund einer fehlerhaften Rechtsauskunft des Beraters die Veräußerung, so sind diesem die anschließend eingetretenen Verluste haftungsrechtlich zuzurechnen, solange der Mandant die wahre Rechtslage nicht kennt. Versucht eine Partei, den ihr infolge des Anwaltsfehlers drohenden oder bereits eingetretenen Schaden mittels einer Klage gegen einen Dritten abzuwenden, bleibt diese Klage jedoch erfolglos, so sind auch diese Folgen dem Fehler des Beraters zuzurechnen, sofern bei vernünftiger Beurteilung eine realistische Chance bestand, den Rechtsstreit zu gewinnen. Bei fehlender Erfolgsaussicht haftet der Berater, der, obwohl er auf die Entschließung des Mandanten hätte Einfluss nehmen können, nicht davon abgeraten hat, den Prozess zu führen. Ist der Schaden dadurch entstanden, dass der Mandant von der gemeinsamen Veranlagung nach § 26b EStG Abstand genommen hat, ist ebenfalls der Zurechnungszusammenhang zu bejahen, wenn dieses Verhalten durch eine Pflichtwidrigkeit des Beraters herausgefordert worden ist, den Umständen nach somit keine ungewöhnliche Reaktion dargestellt hat.
Rz. 48
Dies gilt grds. auch dann, wenn der Rechtsanwalt eine gebotene Maßnahme unterlassen hat und der Mandant das Vertragsverhältnis kündigt, bevor der Schaden eintritt, dieser aber im Zeitpunkt der Kündigung noch hätte vermieden werden können; denn der Anwalt hätte trotz der Kündigung noch den bisher versäumten Hinweis erteilen können. I.Ü. wird der Zurechnungszusammenhang nicht schon dadurch unterbrochen, dass der Mandant den Vertrag beendet und einen anderen Berater hinzugezogen hat; denn eine solche Maßnahme kann regelmäßig nicht als ungewöhnliche, völlig unangemessene Entschließung gewertet werden. Besonders bedeutsam ist dies für die Fälle, in denen der Anwalt versäumt hat, den Mandant auf den drohenden ...