Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 206
Fallbeispiel 67: Was man mit einem Erbe so alles machen kann
Der 45-jährige arbeitslose A, dessen Arbeitslosengeldanspruch auslief, so dass "Hartz-IV" in Kürze drohte, wurde unverhofft Alleinerbe nach seinem Onkel.
1. Variante: Aus den Erbschaftsmitteln erwarb er einen fünf Jahre lang nicht kündbaren Sparbrief in Höhe von 100.000 EUR zu Alterssicherung.
2. Variante: A erwarb aus den Mittel ein altes, renovierungsbedürftiges Haus am See mit 75 qm und zog ein.
3. Variante: A wollte sich jetzt endlich einmal "ein schönes Leben" machen und erwarb neben dem kleinen Hausgrundstück noch Mobiliar von 40.000 EUR, kleidete sich neu ein, fuhr in Urlaub und aß gut in Restaurants, so dass nach einem Jahr kein Geld mehr da war.
4. Variante: Der A verschenkte einen Teil seiner Erbschaftsmittel an seine Trinkkumpanen, mit denen er auch viele feucht-fröhliche Abende in seiner Stammkneipe verbrachte. Im Übrigen tilgte er die Schulden der Vergangenheit.
A beantragte einige Zeit später, Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhaltes. Was sind die Optionen/Sanktionsmöglichkeiten des Jobcenters?
Rz. 207
Auch im SGB II stellen sich Fragen nach Gestaltungsmöglichkeiten für Erbfall und Schenkung, wenn in der Gruppe der Begünstigten und deren Bedarfsgemeinschaft Bezieher von SGB II-Leistungen sind; aber es stellen sich auch Fragen zu zulässigem und missbilligtem Konsumverhalten aus Mitteln bei Erbfall und Schenkung. Bedürftigkeit kann durch Nutzung dieser Möglichkeiten – also durch faktisches oder rechtliches Handeln – entstehen und das Jobcenter zur Leistung verpflichten.
Wie bei § 26 SGB XII – auf den nochmals verwiesen wird – begegnen einem auch hier wieder die Fallgruppen des "Sich-Bedürftig-Machens" durch
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Verschenken |
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Umwandlung in Schonvermögen |
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Ausschlagen/verzichten |
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Vorzeitigen Verbrauch/"verprassen" |
Fragen und Antworten unterscheiden sich von denen im SGB XII allenfalls marginal. Es kann daher auf die umfangreichen Ausführungen im SGB XII vollinhaltlich Bezug genommen werden. Die Ausführungen gelten entsprechend.
Rz. 208
a) Verschenken
Rz. 209
Man kann sein Vermögen vorzeitig durch "Verschenken" verbrauchen, auch in der Absicht, Hilfebedürftigkeit herbeizuführen. Das löst sich aber meistens relativ einfach dadurch auf, dass an die Stelle der einzusetzenden Mittel in der Regel der Schenkungsrückforderungsanspruch nach § 528 BGB tritt, der seinerseits ein einsatzpflichtiges Mittel ist. Ist das nicht der Fall, z.B. weil der Anspruch verjährt oder aus anderen Gründen nicht durchsetzbar ist, sind Sanktionsnormen zu prüfen.
b) Umwandeln in Schonvermögen
Rz. 210
Grundsätzlich kann man auch den Versuch machen, aus vorhandenen, nicht geschonten Mitteln geschontes Vermögen zu machen. Fraglich dazu ist, ob es vor dem einsetzenden Leistungsbezug eine Obliegenheit gibt, Geld nur so auszugeben, dass es möglichst lange reicht, den notwendigen Leistungsbezug möglichst weit hinausschiebt und verlangt, dass von vorhandenem – an sich verwertbarem Vermögen – so lange wie möglich gezehrt wird.
Rz. 211
Grundsätzlich – so die Rechtsprechung – gibt es keine Rechtsgrundlage, die dem Bürger aufgibt, sein Vermögen in einer Weise aufzuteilen, dass der Bezug von Sozialleistungen möglichst weit hinausgeschoben wird. "Derartiges würde dazu führen, dass die Vorschriften des SGB II nicht nur für Bedürftige, sondern auch für weite Teile der Bevölkerung gelten würden, die gar nicht unter die Vorschriften des SGB II fallen und nicht bedürftig sind." Eine dergestalt weite Auslegung des SGB II ist jedenfalls mit Artikel 2 Grundgesetz nicht vereinbar. Deswegen ist ein Bürger vor dem Leistungsbezug grundsätzlich berechtigt, "mit seinem Vermögen nach eigenem Gutdünken umzugehen." Es obliegt nach LSG Baden-Württemberg auch nicht den staatlichen Stellen zu prüfen, ob die Hilfebedürftigkeit nachvollziehbar, naiv, unbedacht oder moralisch verwerflich entstanden sei. Die Grenze sei vielmehr erst da zu ziehen, wo Vermögen kausal zum Zwecke der Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit verschwendet werde.
Das bedeutet, Lebensführungsfehler des Leistungsberechtigten durch individuelle Ausgabeentscheidungen des Betroffenen können Leistungseinschränkungen oder gar eine völlige Hilfeablehnung nur dann rechtfertigen, wenn das Gesetz solche Rechtsfolgen für dieses Verhalten ausdrücklich vorsieht. Solche Normen existieren aber nicht, sondern es gibt nur gesetzlichen Grundlagen, mit denen der Nachrang der Sozialhilfe zumindest teilweise wiederhergestellt werden soll.