Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 42
Ein Erbfall im Leistungszeitraum begründete nach altem Recht unproblematisch sowohl für den Erben wie für den Pflichtteilsberechtigten oder ggf. auch für Vermächtnisnehmer immer Einkommen, und die Mittel wurden nach § 11 SGB II angerechnet, sobald sie zur Bedarfsdeckung "bereit" waren. Nach neuem Recht bleibt das auch so für eine Einnahme in Geld (z.B. die Geldscheine im Tresor).
Zuflüsse in Geldeswert im Leistungszeitraum sind nun aber Vermögen. Forderungen sind Zuflüsse in Geldeswert. Fraglich ist also, ob es dabei bleibt, wenn es daraus noch im Leistungszeitraum zu einem Geldzufluss kommt, also ein Pflichtteils- und Vermächtnisanspruch in Geld erfüllt oder eine Forderung aus dem Nachlass an den bedürftigen (Mit-)erben erfüllt wird. Kann sich also etwas, was qua Definition jetzt eigentlich Vermögen ist, in Einkommen umwandeln?
Nach der gesetzgeberischen Entscheidung darf das eigentlich gar keine Frage sein. Der "normative" Charakter als Zufluss in Geldeswert – ob vor oder nach Antragsstellung ist dem Gesetzgeber jetzt egal – bestimmt die Zuordnung als Vermögen. Es darf also eigentlich gar nicht mehr darauf ankommen, ob etwas "Geldeswertes" aus Erbschaft, Vermächtnis oder Pflichtteilsrecht kommt, zumal die "Erbschaft" an sich nicht zwingend aus Geld, sondern sehr wohl aus Sachwerten und Forderungen bestehen kann. Maßgeblich ist der geldeswerte Charakter eines Zuflusses, seien es Sachwerte oder Forderungen.
Rz. 43
In der Literatur und Rechtsprechung wird die gesetzgeberische Unterscheidung aber z.T. vernachlässigt, zumindest bei der Zuordnung aber missverständlich formuliert:
Zitat
"Ebensolches gilt grds. für Erbschaften. Die vererbten Gegenstände, etc. waren zwar in der Hand des Erblassers Vermögen, ändern diesen Rechtscharakter aber im Zeitpunkt des Zuflusses an den Grundsicherungsempfänger. Werden etwa Grundstücke oder Häuser vererbt, so haben diese einen Geldeswert, der realisiert und gem. § 11 Abs. 3 i.V.m. § 4 Alg II-V umgerechnet werden kann."
Für Pflichtteils-/Vermächtnis-/Abfindungsansprüche führen andere aus:
Zitat
"Seit dem 1.8.2016 dürfte es sich – als Zufluss in Geldeswert – zunächst um Vermögen handeln, dessen Berücksichtigung sich nach § 24 Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 9 Abs. 4 richtet. Die Befriedigung des Pflichtteilsanspruchs vor der Bedarfszeit bleibt – gleichgültig ob in Geld oder in Sachwerten – stets Vermögen. Bei Befriedigung während der Bedarfszeit ist zu unterscheiden: Erfolgt Auszahlung in Geld, so liegt – in Anwendung des Grundsatzes, dass im Falle der Realisierung von Forderungen primär nicht deren Schicksal interessiert, sondern das Gesetz allein den Zufluss der Gegenleistung als maßgebend ansieht und Abweichendes nur bei freiwilliger Ansparung gilt – eine einmalige Einnahme i.S.v. § 11 Abs. 1 1. Satzteil, Abs. 3 i.V.m. § 4 S. 1 Alg II-2008/11 vor. Gleiches gilt für eine Abfindung oder Abgeltung aufgrund eines Erbteils und Pflichtteilsverzichts."
Andere wie Geiger akzeptieren dagegen, dass eine Forderung im Antragszeitraum Vermögen ist, wollen aber, "wenn eine Vermögensverwertung in angemessener Zeit nicht zu erwarten ist", den sich aus dem Pflichtteil ergebenden Anspruch zur "gewöhnlichen Geldforderung" machen, die bei Zufluss in Geld im Antragszeitraum dann Einkommen und kein versilbertes Vermögen ist. Ist die Forderung prognostisch innerhalb von 12 Monaten verwertbar, soll ein Darlehen nach § 24 Abs. 5 SGB II gewährt werden. Für andere Vermögenswerte soll es bei einer erneuten Vermögensprüfung bleiben. Verweigere der Hilfesuchende die Verwertung, könne die Leistung insgesamt eingestellt werden. Fließe aber Geld in Erfüllung der Pflichtteils-/Vermächtnisforderung im laufenden Leistungsbezug zu, so handele es sich um Einkommen.