Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 108
Zum Recht der Arbeitslosenhilfe hatte das BSG die Verwertbarkeit von Vermögen ursprünglich verneint, wenn diesem bereits fällige Verbindlichkeiten gegenüberstanden. Eine solche "Bindung des Vermögens" wird heute nicht mehr als rechtliches Verwertungshindernis akzeptiert, weil Vermögen nicht zur Schuldentilgung eingesetzt werden darf, sondern zur Deckung des eigenen Bedarfs verwendet werden muss. Fällige Verbindlichkeiten bzw. Schulden stellen deshalb kein rechtliches Verwertungshindernis dar, vermindern auch nicht den anzurechnenden Wert oder führen zu einer Härte bei der Verwertung.
Hinweis
Güterrechtliche Vereinbarungen zwischen nicht dauernd getrenntlebenden Ehegatten/Lebenspartner stellen kein rechtliches Verwertungshindernis dar. Die Vereinbarung von Gütertrennung nutzt also nichts, wenn beide eine Bedarfsgemeinschaft bilden.
Rz. 109
Rechtlich ist ein Vermögensgegenstand nicht verwertbar, wenn dessen Inhaber in der Verfügung über den Gegenstand beschränkt ist und er die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen kann:
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Testamentarische Verfügungsbeschränkungen können nur durch Vorlage eines Testamentes oder Erbscheins glaubhaft gemacht werden. Eine testamentarische Verfügungsbeschränkung ergibt sich nicht aus handschriftlichen Testamentsänderungsentwürfen und dem sich hieraus ergebenden Wunsch des Erblassers. |
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Eine schuldrechtliche Verfügungsbeschränkung durch Vereinbarung mit dem Miterben ist unbeachtlich. |
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Verwaltungsanordnungen an den Testamentsvollstrecker i.S.v. § 2216 Abs. 2 BGB müssen nicht in das Testamentsvollstreckerzeugnis aufgenommen werden; es handelt sich um nur im Innenverhältnis wirksame Anordnungen mit schuldrechtlicher Wirkung ohne Einfluss auf die Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers. |
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Ob Verfügungsbeschränkungen bestehen, die bei angeordneter Testamentsvollstreckung Herausgabeansprüche gegen den Testamentsvollstrecker hindern, muss im Einzelfall anhand der Verwaltungsanordnungen des Erblassers bzw. nach § 2216 Abs. 2 BGB ermittelt werden. |
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Der Sozialleistungsträger ist nicht beschwerdeberechtigt, wenn das Nachlassgericht Verwaltungsanordnungen i.S.v. § 2216 Abs. 2 BGB abändert oder außer Kraft setzt und dies Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage des Vorerben hat. Dass der Sozialleistungsträger allgemein Sozialhilfeleistungen für den Erben erbringt, reicht für eine Beschwerdeberechtigung nicht aus; erforderlich ist vielmehr eine konkrete Norm, die die Intention des Gesetzgebers an der Mitwirkung der Behörde im Verfahren erkennen. |
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Für den befreiten Vorerben ist das Vermögen nicht unverwertbar. Auch die Belastung eines Vermögensgegenstandes mit einem Nießbrauch macht ihn nicht per se unverwertbar. |
Hinweis
Wenn das Jobcenter ein Vorgehen gegen den Testamentsvollstrecker verlangt, so gehört das nicht zu den üblichen Mitwirkungspflichten des Hilfesuchenden, sondern umgekehrt hat das Jobcenter Beratungspflichten und muss ihn ggf. dabei unterstützen.
Rz. 110
Grundsätzlich kann im Übrigen auf die sehr ausführliche Darstellung zu rechtlichen Verwertungshindernissen bei § 90 SGB XII verwiesen werden. Sie sind vollinhaltlich übertragbar.
Zur Ergänzung der Ausführungen im Rahmen des SGB XII nachfolgend ausführlicher eine einzelne Fallgestaltung aus der Rechtsprechung.
Rz. 111
Fallbeispiel 63: Der Hartz IV-Empfänger und das Mehrfamilienhaus
Ein Hartz IV-Empfänger (Alg II) hatte von seinen Eltern ein Mehrfamilienhaus und eine 12.000 qm große landwirtschaftliche verpachtete Nutzfläche übertragen bekommen. Da die Eltern verhindern wollten, dass ihr Sohn das Vermögen "verjubelt", hatten sie sich bei der Übertragung der Immobilie im Grundbuch einen Rückübertragungsanspruch vorbehalten und diesen durch Rückauflassungsvormerkung gesichert. Danach durfte ohne ihre Zustimmung der Grundbesitz nicht weiterverkauft werden. Auf diese Weise sollte das Grundstück auch für den Enkel erhalten bleiben.
Das Jobcenter lehnte die weitere Zahlung von Leistungen nach dem SGB II ab. Der im Grundbuch eingetragene Rückübertragungsanspruch sei als sittenwidrig zu werten. Der Antragsteller müsse seine Immobilie verwerten.
Rz. 112
Um eine unentgeltliche Zuwendung "sozialhilfesicher" zu machen, wird in der notariellen Praxis – insbesondere bei der Übertragung von Grundstücken im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge – häufig ein Belastungs-/Verfügungsverbot gekoppelt mit einem Rückforderungsrecht des Zuwendenden empfohlen. Das zielt darauf ab, dem Hilfebedürftigen etwas zu schenken, aber die Zuwendungssubstanz gegen Verschwendung und Zugriff von außen sicher zu machen. Damit dient eine solche Vereinbarung ggf. auch dazu, eine Übertragung "sozialhilfesicher" zu machen.
Rz. 113
Ob ein "Versilbern" der Immobilie möglich ist oder sich das Belastungs- und Verfügungsverbot als rechtliches Verwertungshindernis darstellt, ist streitig. Wegen des angenommenen Risikos der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB wird nach wie vor davor gewarnt, eine Rückford...