Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 163
§ 24 Abs. 4 S. 2 SGB II geht vom "normativen" Zufluss von einmaligen Einkünften aus. Grundsätzlich fließt Einkommen nur einmal zu und es gilt das Monatsprinzip. § 11 Abs. 3 SGB II regelt den Zufluss für einmalige Einnahmen aber "normativ" für die Dauer eines Verteilzeitraumes von sechs Monaten.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes verliert eine einmalige Einnahme ihren Charakter als Einkommen auch nach erneuter Antragstellung im nachfolgenden Bewilligungszeitraum nicht. Steht die einmalige Einnahme aber tatsächlich im Bedarfszeitraum nicht mehr zur Verfügung, sind aus Gründen der Existenzsicherung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ohne weitere Anrechnung der einmaligen Einnahme zu erbringen. Warum?
Rz. 164
Ein abweichendes Ausgabeverhalten außerhalb des Sechs-Monats-Verteilzeitraums läuft der Grundentscheidung des Gesetzgebers zuwider. Für eine Leistungsverweigerung aufgrund verschuldeter Bedürftigkeit gibt es im SGB II aber keine Rechtsgrundlage. Das SGB II kennt eine Verschuldensregel vergleichbar § 254 BGB nicht. Wenn Mittel tatsächlich nicht (mehr) uneingeschränkt zur Verfügung stehen, ist deshalb nach der Rspr. des BSG ein Leistungsanspruch nicht ausgeschlossen (Faktizitätsprinzip/Bedarfsdeckungsgrundsatz). Das BSG bestätigt, dass die Verweigerung existenzsichernder Leistungen aufgrund einer unwiderleglichen Annahme, dass die Hilfebedürftigkeit bei bestimmtem wirtschaftlichem Verhalten abzuwenden gewesen wäre, mit Art. 1 GG i.V.m. Art. 20 GG nicht vereinbar ist. Einkommen darf nicht "fiktiv" berücksichtigt werden, sondern es muss tatsächlich geeignet sein, die Hilfebedürftigkeit zu beseitigen. Das BSG weist zurecht darauf hin, dass für das unerwünschte Ausgabeverhalten eines Hilfesuchenden auf das Leistungsstörungsrecht des SGB II zurückgegriffen werden muss. Es gelten die Kostenersatzregeln der §§ 34, 34a SGB II und die Leistungsherabsetzungsregeln der §§ 31 Abs. 2 Nr. 2, 31a SGB II.
Rz. 165
Zu prüfen ist also immer, ob im Zeitpunkt der Antragstellung noch "bereite Mittel" vorhanden sind, die geeignet sind, den konkreten Bedarf zu decken. Ist das nicht der Fall, besteht mangels "bereiter" Mittel ein Anspruch.
Diese Rechtsprechung des BSG hat für Leistungszeiträume ab dem 1.1.2017 etwas an Brisanz verloren. Um sie in ihrer Wirkung zu entschärfen, hat der Gesetzgeber die Jobcenter mit der Neuregelung des § 24 Abs. 4 S. 2 SGB II in die Lage versetzt, bei vorzeitigem Verbrauch einmaliger Einnahmen Alg II bzw. Sozialgeld im Bewilligungszeitraum als Darlehen zu gewähren, um einerseits die Bestreitung des Lebensunterhaltes der Leistungsberechtigten zu sichern, sich aber andererseits die für eine zuschussweise Leistungsgewährung erforderliche aufwändige Prüfung von Ersatzansprüchen nach § 34 SGB II zu ersparen.
Rz. 166
Beim vorzeitigen Verbrauch von Einmaleinnahmen aus Erbfall oder Schenkung kann man dem Grunde nach zwei Fallkonstellationen unterscheiden:
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der vorzeitige Verbrauch von zufließenden Mitteln wegen Schuldentilgung |
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der vorzeitige Verbrauch von zufließenden Mittel im Sinne eines "Verprassens". |
a) Fallgruppe Darlehenstilgung/Kontokorrentverrechnung
Rz. 167
Darlehensverbindlichkeiten oder Kontokorrentabsprachen haben keinen Einfluss auf den Einkommensbegriff des § 11 SGB XII. "Es gilt der unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität staatlicher Fürsorge aufgestellte Grundsatz, dass die Lebensunterhaltssicherung durch eigene Mittel grundsätzlich der Schuldentilgung vorgeht." Die Schulden sind nicht vom Einkommen abzusetzen. Ein Hilfebedürftiger ist grundsätzlich verpflichtet, seine Mittel für sich zu verwenden. Das gilt sogar dann, wenn er sich dadurch außerstande setzt, bestehende Verpflichtungen zu erfüllen. Er muss unnötig eingegangene Verpflichtungen so schnell wie möglich rückgängig machen bzw. er darf freiwillig eingegangene Verpflichtungen nicht erfüllen. Ein Verstoß gegen diese Obliegenheiten kollidiert mit den Prinzipien der Selbsthilfe und dem Nachranggrundsatz.
Rz. 168
Besteht also die Möglichkeit der gleichmäßigen Bedarfsdeckung durch einen Zufluss in Geld im Bewilligungszeitraum, so ändert die Verwendung der Einnahme nicht für den Lebensunterhalt, sondern z.B. zur Tilgung eines Dispositionskredits, an der rechtlichen Berücksichtigung als Einkommen im jeweiligen Monat nichts.