Dr. Gudrun Doering-Striening
a) Ausgangspunkt: Der tatsächliche Zufluss vor oder nach Antragstellung
Rz. 33
Um Einkommen und Vermögen voneinander zu unterscheiden, ist wie im SGB XII nach der "modifizierten" Zuflusstheorie vom tatsächlichen Zufluss eines wirtschaftlich relevanten Mittels auszugehen. Abzustellen ist dabei auf die erste Antragstellung des laufenden Leistungsfalls. Dieser Antrag wirkt zurück auf den ersten Tag des Antragsmonats (§ 37 SGB II). Auf die Uhrzeit des Zuflusses an einem Tag kommt es nicht an.
Hinweis
Von der Antragstellung "gehen leistungsrechtliche Wirkungen aus, ohne dass den potentiell Leistungsberechtigten Gestaltungsmöglichkeiten zukommen. Dazu zählt, dass die Folgen eines einmal gestellten Leistungsantrags für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach der Rechtsprechung des BSG durch seine Rücknahme nachträglich nicht mehr zu beseitigen sind."
Rz. 34
Die Einkommens-/Vermögensqualität einer Einnahme wird nach dieser Theorie danach bestimmt, dass alles, was jemand erst nach Antragstellung wertmäßig hinzu erhält, Einkommen ist. Vermögen ist demgegenüber alles, was jemand vor der Antragstellung bereits hatte. Bedarfsdeckend angerechnet werden kann das Erlangte erst, wenn es tatsächlich zugeflossen ist und somit zur Bedarfsdeckung geeignet ist.
Beispiele für Einkommen:
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Der Zufluss von Geld aus einer Lebensversicherung im Leistungszeitraum/nach Antragstellung, deren Bezugsberechtigter der Leistungsberechtigte war. |
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Der Zufluss einer Schenkung von Geld im Leistungszeitraum/nach Antragstellung. |
b) Was bedeutet Antragstellung?
Rz. 35
Was Antragstellung bedeutet, ist zusätzlich weiter zu differenzieren. Als "erste Antragstellung" gilt im Zusammenhang mit einmaligen Einnahmen, wie sie üblicherweise bei einzelnen Ansprüchen aus Erbfall und Schenkung anfallen, nicht der erste Antrag auf Leistungen nach dem SGB II, der jemals gestellt wurde. Vielmehr dient die Bezugnahme auf den "ersten" Antrag der Klarstellung, dass nicht mit jedem Weiterbewilligungsantrag innerhalb eines durchgehenden Bezugszeitraums die Frage der Abgrenzung von Einkommen und Vermögen neu zu bewerten ist.
Die rechtliche Wirkung des "Zuflussprinzips" endet nicht mit dem Monat des Zuflusses, sondern erstreckt sich über den so genannten "Verteilzeitraum". Der Verteilzeitraum beginnt grundsätzlich mit dem Zeitpunkt des Zuflusses der einmaligen Einnahme und erfasst zunächst den gesamten Bewilligungszeitraum. Während dieses Zeitraums bleibt die als Einkommen zu qualifizierende Einnahme Einkommen und wird nicht in dem dem Monat des Zuflusses folgenden Monat zu Vermögen.
c) Normativer statt tatsächlicher Zufluss
Rz. 36
Da die konsequente Abgrenzung nach dem Zeitpunkt des Zuflusses nach Ansicht von Literatur und Rechtsprechung zum Teil zu "willkürlichen bzw. inakzeptablen" Ergebnissen führt, wird nach Feststellung des Zuflusszeitpunkts geprüft, ob das Ergebnis einer Korrektur bedarf, weil es einen vorrangigen, rechtlich anderen, also einen "normativen" Zufluss gibt, der das Ergebnis der Prüfung des tatsächlichen Zuflusses im Sinne eines akzeptablen Ergebnisses modifiziert.
Rz. 37
Prüfungsablauf: Ist es Einkommen oder Vermögen?
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Wann war der Tag der Antragstellung (§ 37 SGB II)? |
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Wann erfolgte der Zufluss konkret? |
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Gilt der tatsächliche Zufluss oder wird das Ergebnis durch einen "normativen" Zufluss korrigiert? |
Ein "normativer" Zufluss liegt z.B. in der Rechenregel über die Verteilung des Einmaleinkommens gem. § 11 Abs. 3 SGB XII auf einen Verteilzeitraum von sechs Monaten.
aa) Normativer Zufluss bei Anfall einer Erbschaft
Rz. 38
Der Anfall einer Erbschaft gehört nach der Rechtsprechung zu den Zuflüssen, bei denen eine "normative" Korrektur wegen § 1922 BGB zu erfolgen hat. Entscheidend für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen einer Erbschaft ist danach lediglich, ob der Erbfall jedenfalls vor der (ersten) Antragstellung eingetreten ist oder danach. Von anderen wurde und wird noch weitergehend differenziert und danach unterschieden, ob es sich um einen Erbfall ohne Beschwerungen und Belastungen ("Vollerbschaft") handelt oder ob z.B. Vorerbschaft/Nacherbschaft oder Te...