Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 117
Ein Aspekt der Verwertbarkeit ist die für sie benötigte Zeit. Vermögen gilt als unverwertbar, wenn völlig ungewiss ist, wann ein tatsächliches – oder auch rechtliches – Verwertungshindernis wegfällt.
So scheidet eine Anrechnung von Forderungen als Vermögen von vornherein aus, wenn sie nicht in absehbarer Zeit realisiert werden können (sog. "Versilbern" von Vermögen). Hängt die Verwertbarkeit z.B. von einem ungewissen Ereignis wie dem Tod ab, geht man in der Regel von Unverwertbarkeit aus.
Hinweis
Die Belastung eines Hausgrundstückes mit einem Nießbrauch oder Wohnrecht schließt dessen Verwertbarkeit gleichwohl nicht sicher aus und eine Beleihung bleibt ggf. zumutbar. Das BSG stellt auf die Verhältnisse des Einzelfalles ab. Eine weitergehende Absicherung bei Übergabeverträgen erreicht man nur durch Verfügungsverbote, Rückforderungsrecht und Rückauflassungsvormerkungen, also den Ausschluss der Verwertbarkeit auf der rechtlichen Ebene. Für eine so gesicherte Zuwendung hat die Rechtsprechung entschieden, dass es sich um eine "wirtschaftlich und rechtlich wertlose Rechtsstellung" handele: "Eine solche Rechtsposition kann nicht als Vermögenswert beschrieben werden."
Rz. 118
Es ist also eine Prognose darüber erforderlich, wann eine Verwertung tatsächlich möglich ist. Theoretische Verwertungsvarianten reichen nicht aus. Das Jobcenter muss sich mit den konkreten Verhältnissen des Einzelfalles und der Zumutbarkeit der Verwertung auseinandersetzen. Das Jobcenter muss den Hilfesuchenden ggf. auch durch Übernahme der entsprechenden Kosten eines Verkehrswertgutachtens unterstützen.
Es ist auf den jeweils bevorstehenden Bewilligungszeitraum abzustellen; eine Festlegung für darüberhinausgehende Zeiträume ist demgegenüber nicht erforderlich und wegen der Unsicherheiten, die mit einer langfristigen Prognose verbunden sind, auch nicht geboten.
Rz. 119
Maßgebend für die Prognose, ob und ggf. welche Verwertungsmöglichkeiten bestehen, ist im Regelfall der Zeitraum, für den Leistungen bewilligt werden, also nach § 41 Abs. 3 SGB II regelmäßig der Bewilligungszeitraum von einem Jahr. Ausnahmen von der abschnittsweisen Prüfung für jeden Bewilligungszeitraum sind, wenn die Verwertbarkeit zu einem bestimmten kalendermäßig ablaufenden Datum eintritt.
Hinweis
Wenn ein Streit über den Erbanteil geführt wird und deshalb der Erbschein noch nicht erteilt werden konnte, ist eine Verwertungsmöglichkeit durch Verkauf oder Beleihung in absehbarer Zeit nicht möglich.
Rz. 120
Für die Verwertung einer "gewöhnlichen" Wohnimmobilie nimmt das LSG NRW an:
Zitat
"Im Falle gewöhnlicher Wohnimmobilien, die sich in Wohngebieten befinden, im Alleineigentum eines Leistungsempfängers sind und auch hinsichtlich der Raumaufteilung keine Besonderheiten aufweisen, die den Bedürfnissen eines großen potentiellen Interessentenkreises (im Falle von Einfamilienhäusern insbesondere Familien) zuwiderliefen, geht der Senat grundsätzlich von einer Verwertbarkeit innerhalb von sechs Monaten aus. Soweit Abschläge vom Verkehrswert zu gewärtigen sind, die allein der Verwertung durch Verkauf innerhalb von sechs Monaten zuzurechnen sind, machen diese die Verwertung nicht offensichtlich unwirtschaftlich. (…) Lediglich dann, wenn Anhaltspunkte für eine ungünstige Vermarktungssituation bestehen – wie z.B. eine für Wohnzwecke schwierige Raumaufteilung oder eine besonders schlechte Lage der Immobilie (Verkehrslärm, sozialer Brennpunkt) – rechtfertigt dies Zweifel an einer Verwertbarkeit, die weitere Ermittlungen nach sich ziehen müssten."
Hinweis
Ob der Prognosezeitraum verlängert werden kann, ist bisher nicht abschließend geklärt. Das LSG Sachsen hat dies bejaht für eine Lebensversicherung, bei der der Versicherungsnehmer sein Kündigungsrecht nach § 168 Abs. 3 VVG bis zum Eintritt in den Ruhestand unwiderruflich aufgegeben hatte. Die Entscheidung stammt aber aus dem SGB XII. In § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II gibt es dafür aber im SGB II einen eigenen Schontatbestand.
Rz. 121
Prognoseentscheidungen können sich nicht bewahrheiten:
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Fehlerhafte Prognose: wenn die darlehnsweise Erbringung der Leistungen nach § 24 Abs. 5 SGB II rechtswidrig war und der Betroffene bei richtiger Prognose Leistungen in der Form eines Zuschusses hätte beanspruchen können, besteht bei einem bestandskräftigen Verwaltungsakt nach § 44 SGB X ein Anspruch auf Umwandlung in einen Zuschuss. Eine rückwirkende Umwandlung eines Zuschusses in ein Darlehen würde die Aufhebung nach § 45 Abs. 4 SGB X voraussetzen. Der Verwaltungsakt müsste also von Anfang an durch Verschulden des Leistungsempfängers gewesen sein. |
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Sachgerechte Prognose: Realisiert sich trotz sachgerechter Unverwertbarkeitsprogose die Verwertung des Vermögens doch innerhalb der ersten 12 Monate nach Zufluss des Vermögens, dann erfolgt nachträglich keine Umwandlung des gewährten Zuschusses in ein Darlehen. Hat der Betroffene nur ein Darlehen erhalten und hat sich die Prognose der Verwertbarkeit tr... |