Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 234
Die Kostenersatzregel des § 34 SGB II hat hohe Voraussetzungen, die insbesondere im wertenden bzw. im subjektiven Bereich liegen. Sozialwidrig kann sich nur verhalten, wer sich der Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst oder grob fahrlässig nicht bewusst ist. Wertend ist die Norm am Gedanken des schuldhaften, "sozialwidrigen", "quasi-deliktischen Handelns" des Sozialhilfebedürftigen ausgerichtet und der Tatbestand besteht nur dann.
Nach der Rechtsprechung des BSG führt nicht jedes verwerfliche Verhalten, das eine Hilfebedürftigkeit oder Leistungserbringung nach dem SGB II verursacht, zur Erstattungspflicht nach § 34 SGB II. § 34 SGB II fordert hierzu zusätzlich einen inneren Zusammenhang zwischen Gewährung von Sozialleistungen und Tatbestand der mindestens grobfahrlässig herbeigeführten Bedürftigkeit, was nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist. Es muss also ein spezifischer Bezug zwischen dem Verhalten und zu anderen nach dem SGB II zu missbilligenden Verhaltensweisen bestehen, um das Verhalten selbst als "sozialwidrig" bewerten zu können. Die Sozialwidrigkeit des Verhaltens ist deshalb auch nicht erst eine Frage des Nichtvorliegens eines wichtigen Grundes im Einzelfall. Das Verhalten des Betroffenen muss darauf abzielen, Bedürftigkeit herbeizuführen. Erforderlich ist, dass die Existenzgrundlage, deren Erhalt das SGB II vor allem auch mit aktiven Leistungen schützt, durch das maßgebliche Verhalten selbst unmittelbar beeinträchtigt wird oder wegfällt.
Rz. 235
Verwendet der Hilfesuchende erzielte Einnahmen nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts und wird dadurch Hilfebedürftigkeit herbeigeführt, kann dies einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II auslösen, wenn
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ein anderes Ausgabeverhalten grundsicherungsrechtlich abverlangt war |
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eine Lage geschaffen wird, die den Leistungsträger trotz vorangegangener Versagung zur Leistung von Sozialhilfe zwingt. |
Welches Ausgabeverhalten grundsicherungsrechtlich abverlangt wird, ist aus den im SGB II festgeschriebenen Wertmaßstäben zu entnehmen. Insbesondere in den Sanktionsbestimmungen des § 31 SGB II kommt zum Ausdruck, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zuwiderlaufend und damit als sozialwidrig angesehen wird. § 31 Abs. 2 SGB II sieht als sanktionsbedürftig die absichtliche Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit an:
Zitat
"Es obliegt daher grundsätzlich gerade nicht den staatlichen Stellen, die zur Erfüllung der genannten Pflicht berufen sind, zu prüfen, ob die Hilfebedürftigkeit nachvollziehbar entstanden ist. (…) Insbesondere verbietet es sich – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes –, dass der Staat möglicherweise noch in moralisierender Weise bewertet, welche Ausgaben billigenswert sind und welche nicht. Insoweit kommt es nicht maßgeblich darauf an, wofür das Geld ausgegeben wurde und ob dies nachvollziehbar, naiv, moralisch achtenswert oder zu missbilligen ist. Die Grenze ist vielmehr erst da zu ziehen, wo Vermögen kausal zum Zwecke der Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit verschwendet wird."
Rz. 236
Auch wenn dem Leistungsberechtigten aus vorangegangenen Bezugszeiträumen oder nach entsprechender Aufklärung durch den Träger der Grundsicherung bekannt ist oder bekannt sein muss, in welcher Weise der Einsatz von Mitteln von ihm erwartet wird, kann nach dem ausdrücklichen Hinweis des BSG ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II wegen sozialwidrigen Verhaltens in Betracht kommen.