Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 239
Die Anzahl der Entscheidungen, bei denen es um verbrauchte bzw. verprasste Mittel geht, stieg lange Zeit an, wird aber im SGB II mutmaßlich aufgrund § 24 Abs. 4 S. 2 SGB II mit der Möglichkeit der Darlehensgewährung an Bedeutung verlieren.
Fallbeispiel 68: Auf gut Deutsch: "Das Geld ist verprasst"
A erbte nach dem Tod der Mutter 2017 17.000 EUR Barvermögen inkl. eines Hausgrundstückes, aus dessen Verkauf ihm 2018 45.000 EUR zugeflossen waren.
Am 17.2.2019 beantragte er die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (SGB II) und erklärte, die Erbschaft sei aufgebraucht; das Geld habe er zur Begleichung privater Schulden und andere private Zwecke vor seiner Arbeitslosigkeit verbraucht. Er könne damit tun und lassen, was er wolle, er sei niemanden Rechenschaft schuldig. Er habe Schulden beglichen, eine neue Wohnung bezogen und auf gut deutsch: "Das Geld verprasst." Wird das Jobcenter leisten und ggf. Ersatzansprüche geltend machen?
Rz. 240
Grundsätzlich muss trotz eines "Verprassens" von Mitteln noch einmal geleistet werden, weil die notwendigen "bereiten" Mittel nicht oder nicht mehr da sind, deshalb auch nicht bedarfsdeckend angerechnet werden dürfen. Das knüpft an die zu Beginn dargelegten Strukturprinzipien und der daraus schon durch das BVerwG angelegten Rechtsprechung an.
Vor Eintritt in die Bedürftigkeit gibt es keine Obliegenheit zur sparsamen Verwendung von Mitteln. Grundsätzlich gibt es nach der untergerichtlichen Rechtsprechung keine Regel, die nichtbedürftige Bürger dazu verpflichtet, ihr Vermögen in einer Weise aufzuteilen, dass der Bezug von Sozialleistungen möglichst weit hinausgeschoben wird. Allerdings spricht dagegen, dass § 31 SGB II auf das "Herbeiführen" der Voraussetzungen für den Leistungsbezug nach SGB II abstellt und damit auf eine Zeit vor der Bedürftigkeit. Diese Wertung ist nach der Rechtsprechung des BSG in § 34 SGB II hinüberzuziehen. Dies ist aber bisher in der Rechtsprechung nicht hinreichend ausdiskutiert.
Rz. 241
Falllösung Fallbeispiel 68:
Obwohl das Verhalten in der Handlungstendenz auf die Herbeiführung von Bedürftigkeit gerichtet und nach den Wertungen des SGB II, welches unwirtschaftliches Verhalten als Pflichtverletzung normiert, in hohem Maße zu missbilligen ist, spielt hier der Zeitpunkt des "Sich-bedürftig-Machens" den ausschlaggebenden Grund für eine vorbehaltlose Leistung des Jobcenters.
Nach Eintritt der Hilfebedürftigkeit ist die Bewertung des Ausgabeverhaltens eine Frage des Einzelfalles. Dazu wird nicht gerechnet, wie lange jemand unter Sozialhilfebedingungen mit seinen Mitteln ausgekommen wäre, denn derjenige, der durch den Zufluss aus Erbfall oder Schenkung aus den SGB II-Leistungen herausfällt, muss ab da nicht auf dem Level eines "Hartz-IV" -Empfängers leben. Wie er leben darf, ohne sich sozialwidrig zu verhalten, ist aber nicht sicher geklärt und eine Frage des Einzelfalles:
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Das LSG Sachsen-Anhalt folgt der Linie des BSG für die Zuwendung von Geld, die die Beschenkte für eine Reise verbraucht hatte. |
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Das SG Berlin hat Sozialwidrigkeit beim Verbrauch von ererbten 93.000 EUR "ohne Zukunftsplanung, ohne Blick auf und ohne Gewissen wegen einer späteren Hilfebedürftigkeit" bejaht. |
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41.500 EUR innerhalb von zwei Monaten aus einer Erbschaft, davon 26.000 EUR für Schulden, den Rest für Wohnungsrenovierung, technische Geräte ohne "sich Gedanken darüber gemacht zu haben, wer nach Verbrauch der Erbschaft seinen Lebensunterhalt sichern wird, stellt eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes dar. Dieses Verhalten ist auch subjektiv unter Berücksichtigung der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit sowie des Einsichtsvermögen und Verhalten des Klägers unentschuldbar." |
Rz. 242
Das bloße über die Deckung des Existenzminimums hinausgehende Verhalten eines Nichterwerbstätigen, welcher aufgrund einer größeren Erbschaft aus dem Leistungsbezug ausgeschieden ist, kann noch nicht als sozialwidrig gewertet werden. Das LSG Niedersachsen hat hierzu folgenden gedanklichen Ansatz entwickelt:
Zitat
"Bei der Prüfung, welches Ausgabeverhalten eines Nichterwerbstätigen, welcher aufgrund einer größeren Erbschaft aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschieden ist, als sozialwidrig zu werten ist, kann nicht auf den (fiktiven) Bedarf nach dem SGB II abgestellt werden. Es ist vielmehr sachgerecht, auf das durchschnittliche Ausgabeverhalten vergleichbarer Personen abzustellen, für die statistische Erhebungen (vgl. EVS 2013) vorliegen. (…) Bei Zugrundelegung der Gesamtausgaben des Haushalts eines alleinlebenden arbeitslosen Mannes nach der EVS 2013 wäre die Erbschaft erst recht noch nicht verbraucht gewesen. Der Senat kann bei dieser Sachlage offenlassen, ob dem Kläger die durchschnittlichen Ausgaben alleinlebender nichterwerbstätiger Männer oder nur diejenigen alleinlebender arbeitsloser Männer zuzubilligen waren."
Rz. 243
Als sachgerecht sah das Gericht an, auf das durchschnittliche Ausgabeverhalten vergleichba...