Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 67
§ 11a SGB II ist den besonders geschützten Einkunftsarten der §§ 83, 84 SGB XII nachgebildet. Insofern kann vollinhaltlich auf die Ausführungen im SGB XI Bezug genommen werden.
1. Schontatbestand Einkommen I: Schmerzensgeld (§ 11 Abs. 2 SGB II)
Rz. 68
Fallbeispiel 58: Der geerbte Schmerzensgeldanspruch
A war Alleinerbe seiner Mutter. Aus einem Prozess gegen eine behandelnde Klinik hatte er für seine Mutter sowohl Schadensersatz als auch Schmerzensgeldansprüche erstritten, die erst nach ihrem Tod festgestellt und im Leistungsbezug des seit Jahren bedürftigen A standen. Der Aufhebung des Leistungsbewilligungsbescheides nach Zufluss des Schmerzensgeldes widersprach A mit der Begründung, es handele sich um Schoneinkommen nach § 11a Abs. 2 SGB II.
Rz. 69
Grundsätzlich gibt es kein postmortales Schoneinkommen oder Schonvermögen. Privilegierungen sollen immer nur dem Geschädigten selbst zugutekommen, nicht aber dessen Rechtsnachfolger.
Rz. 70
Falllösung Fallbeispiel 58:
Für den A handelte es sich bei dem Zufluss nicht um Schmerzensgeld, sondern um eine Forderung, die Bestandteil der Erbschaft war. Diese ist im Leistungszeitraum angefallen und zugeflossen. Somit handelt es sich um anrechenbares Einkommen.
2. Schontatbestand Einkommen II: wegen normativer Zweckbestimmung (§§ 11a Abs. 3 SGB II)
a) Öffentlich-rechtliche Vorschriften versus privatrechtliche Zweckbestimmung
Rz. 71
§ 11a Abs. 3 SGB II bestimmt, dass Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen sind, als die Leistungen nach dem SGB II im Einzelfall demselben Zweck dienen. Diese gegenüber der allgemeinen Regelung in § 11 SGB II speziellere Bestimmung über die einnahmeartenspezifische Abgrenzung von zu berücksichtigendem und nicht zu berücksichtigendem Einkommen gilt auch für einmalige Einnahmen.
Rz. 72
Fallbeispiel 59: Das geschenkte Geld für den Pkw
Der Hilfebedürftige H bezog seit 2009 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Das Jobcenter bewilligte ihm für den Abschnitt vom 1.8.2013 bis zum 31.1.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Am 16.11.2013 teilte der Antragsteller mit, dass er mit seinem Pkw einen Unfall mit Totalschaden erlitten habe. Er legte Nachweise vor, wonach er bei einem Kfz-Händler einen Gebrauchtwagen zum Preis von 4.900 EUR am 6.8.2013 erworben habe. Weiter legte er die schriftliche Bestätigung seiner Mutter vom 6.8.2013 vor, in der diese bestätigte, ihrem Sohn einen Barbetrag in Höhe von 5.000 EUR zweckgebunden für den Kauf eines Kraftfahrzeugs geschenkt zu haben. Das Jobcenter hob sodann die dem Antragsteller bewilligten Leistungen ab dem 1.12.2013 auf. Zur Begründung führte es an, der Hilfeempfänger habe ab dem genannten Zeitpunkt Einkommen aus einer Schenkung erzielt. Der Betrag in Höhe von 5.000 EUR sei als einmalige Einnahme auf sechs Monate aufzuteilen sei. Ein Betrag in Höhe von monatlich 833,33 EUR sei zugrunde gelegt worden. Mit diesem Einkommen sei er nicht mehr hilfebedürftig.
Rz. 73
Für die Qualifizierung eines Zuflusses als Einkommen oder Vermögen kommt es bei einer Zuwendung im SGB XII wie im SGB II nicht darauf an, ob der Zufluss entgeltlich oder unentgeltlich erworben wurde. Schenkungen sind deshalb dem Grunde nach nicht anrechnungsfrei. In Geld stellen sich Unterstützungshandlungen Dritter als Einkommen dar. Daran ändert sich im Regelfall nichts, wenn es eine Zweckabrede über den Verbrauch der Zuwendung gibt. Eine Zweckschenkung setzt immer eine tatsächliche Willensübereinstimmung über den verfolgten Zweck voraus. Eine Zweckabrede darüber, dass der Sozialhilfebedürftige die Zuwendung in der Sozialhilfe anrechnungsfrei verbrauchen kann, kann er selbst nicht wirksam treffen, weil er damit den Selbsthilfegrundsatz außer Kraft setzen würde. Folglich wird angenommen, dass die anrechnungsfreie Verwendung einer Zuwendung grundsätzlich einem rechtlich unverbindlichen Wunsch entspricht und sich im Bereich der "Wunschschenkung" bewegt.
Rz. 74
Letztlich muss man das aber gar nicht ausdiskutieren, weil der Gesetzgeber den in § 11 a SGB II a.F. ursprünglich zugelassenen Schutz privatrechtlicher Zweckbestimmungen ausdrücklich aufgegeben hat. Die diesbezügliche Rechtsprechung hat sich überlebt. Die Zweckbindung der Zuwendung reicht ebenso wenig wie die zweckentsprechende Verwendung des Betrages. Frühere Rechtsprechung zum Schutz freiwilliger Zuwendungen Dritter ist nur noch geeignet, die grundsätzlichen Aussagen des BSG zu Zuwendungen von Dritten zusammenzufassen, nicht mehr aber private Zuwendungen zu privilegieren:
Zitat
"Tatsächlich gewährte Unterstützungsleistungen von Verwandten oder Verschwägerten in Geld oder Geldeswert, die über die Leistungsfähigkeit im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 1 Abs. 2 Alg II-V hinaus erfolgen, sind wie sonstige Zuwendungen von Dritten (…) heranzuziehen. Entgegen der Auffassung der Klägerin schließt § 9 Abs. 5 SGB II die Berücksichtigung von weitergehenden, tatsächlich zufließenden Unterstützungsleistungen innerhalb von Haushaltsgemeinschaften nicht von vornherein aus. § 9 Abs. 5 SGB II beinhaltet ...