Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 181
Wenn der Sozialhilfeträger einen Bedarf nach SGB II decken muss, weil zur Selbsthilfe geeignete Mittel nicht zu "bereiten" – also einsetzbaren Einkünften oder prognostisch im Bewilligungszeitraum verwertbaren Vermögen – Mitteln gemacht werden können, dann handelt es sich sozialhilferechtlich um einen "Störfall", weil jeder an sich zunächst für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen muss.
Die Wiederherstellung des Nachrangs erfolgt im SGB II durch unterschiedliche Normen.
1. Vergleich § 93 SGB XII mit § 33 SGB II
Rz. 182
Unter anderem kann das Jobcenter den Anspruch, den der Hilfesuchende gegen einen Dritten hat, an sich ziehen. Das geschieht nicht durch Überleitung (Magistralzession) wie im SGB XII, sondern einheitlich durch Legalzession. SGB II und SGB XII befinden sich – was den Gleichlauf der Normen angeht – daher nicht in Gleichklang. Eine Unterscheidung danach, welche Art von Anspruch übergeht, hat der Gesetzgeber unterlassen. Die Grundstruktur der Tatbestandsvoraussetzungen für die Wiederherstellung des Nachranges der bezogenen Sozialleistungen ist nur teilweise ähnlich zu der in § 94 SGB XII.
Rz. 183
Der wesentliche Unterschied gegenüber §§ 94, 93 SGB XII besteht darin, dass der Anspruchsübergang darauf begrenzt ist, dass nur Ansprüche von Empfängern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes übergehen, nicht aber von Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft, die selbst keine Leistungen empfangen haben. Das erschließt sich aus dem Gesetzestext nicht selbstverständlich, der nur von der Zeit "für die Leistungen erbracht werden" spricht. Diese Grenze ist ein wesentlicher Unterschied zu der Überleitung nach § 93 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB XII. Bei bestimmten Hilfen bezieht das Gesetz dort Ansprüche von Eltern, nicht getrenntlebenden Ehegatten oder Lebenspartnern ein.
Die Legalzession lässt auch keine Ermessensüberlegungen zu, so dass der Übergang eines Anspruches nicht aus Härtegründen verhindert werden kann.
2. Verhältnis zu anderen Störfallnormen
Rz. 184
Infolge eines gesetzlichen Anspruchsübergangs soll ein Leistungsberechtigter nicht schlechter, aber auch nicht bessergestellt werden als ohne einen solchen Übergang. Die Regeln des § 33 SGB II verdrängen die Regelungen über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte (§ 45 SGB X) und über die Erstattung von bereits erbrachten Leistungen nach Aufhebung eines Verwaltungsakts (§ 50 Abs. 1 S. 1 SGB X) daher nicht.
Rz. 185
Können Ansprüche gegen Dritte in einem angemessenen Zeitraum verwertet werden, stehen aber real noch nicht zur Verfügung, so dass Darlehensleistungen nach § 24 Abs. 5 SGB II erbracht werden müssen, so soll das Jobcenter bei Erst- und Folgeanträgen berechtigt sein, die Leistungen anstelle eines Vorgehens nach § 33 SGB II zu erbringen. Das ist nicht unproblematisch, weil bei Darlehensleistungen der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz entfällt.
Es ist auch streitig, ob nicht beides nebeneinander geht.
3. Das "Regress-Dreieck"
Rz. 186
Durch die Rückgriffsregel des § 33 SGB II entsteht ein "sozialhilferechtliches" Dreiecksverhältnis, innerhalb dessen durch Forderungsübergang (Legalzession) dem Nachranggrundsatz nachträglich Geltung verschafft wird. Zur Vorbereitung dieses Anspruches gibt es nach § 60 SGB I einen öffentlich-rechtlichen Auskunftsanspruch.
Rz. 187
In ein Prüfungsschema gefasst, kann man § 33 SGB II wie folgt darstellen:
Zivilrechtliche Prüfung:
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Anspruch des Leistungsbeziehers von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gegen einen anderen |
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der fällig ist und ohne Einrede besteht |
"Sozialhilfe"-rechtliche Prüfung:
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der Leistungsbezieher |
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hat einen Bedarf auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts |
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weswegen rechtmäßig (str.) |
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für den Bewilligungszeitraum |
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Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erbracht wurden, |
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die nicht hätte beansprucht werden können, wenn der Drittschuldner rechtzeitig geleistet hätte. |
Rechtsfolge ist der Übergang des Anspruchs bis zur Höhe der erbrachten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit der Folge der Anwendbarkeit der §§ 412, 399–404, 406–410 BGB. Mit dem Übergang des Anspruchs gehen deshalb nach §§ 412, 401, 402 BGB Nebenrechte wie die Auskunfts- und Wertermittlungsrechte nach § 2314 BGB über.
4. Die (in der Regel) zivilrechtlichen Seite des "Regress-Dreiecks"
Rz. 188
Die Gewährung von Alg II und Sozialgeld (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, §§ 19 ff. SGB II) folgt den vorstehend dargestellten "sozialhilferechtlichen" Regeln und damit Kriterien, die sich von denen des so...