Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 101
Der Begriff der Verwertbarkeit in § 12 SGB II ist – wie in § 90 SGB XII – ein rein wirtschaftlicher und beurteilt sich sowohl nach den tatsächlichen als auch nach den rechtlichen Verhältnissen.
Hinweis
Wegen der nahezu identischen Inhalte zur Verwertbarkeit von Vermögen in SGB II und SGB XII wird ausdrücklich auf die Ausführungen zu § 90 SGB XII verwiesen; insbesondere zu der Vermögensverschonung I und II wegen Unverwertbarkeit. Nachfolgend sind nur noch einige ergänzende Ausführungen im Hinblick auf die Rechtsprechung zum SGB II notwendig.
1. Tatsächliche Verwertbarkeit
Rz. 102
Vermögen ist verwertbar, wenn seine Gegenstände verbraucht, übertragen, belastet oder veräußert werden können. Der Begriff "Verwertbarkeit" enthält eine tatsächliche Komponente, weil solche Vermögensgegenstände nicht verwertbar sind, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird, etwa weil Gegenstände dieser Art nicht (mehr) marktgängig sind oder sie, wie Grundstücke infolge sinkender Immobilienpreise, über den Marktwert hinaus belastet sind, und auch keine andere Verwertungsmöglichkeit ersichtlich ist. Weitere Beispiele sind sog. "Schrottimmobilien" oder unsichere Forderungen.
a) Beispiel Erbanteil
Rz. 103
Ein Miterbe kann über seinen Erbanteil verfügen, ihn verkaufen und verpfänden. In der Praxis kommt dies so gut wie nicht vor. Eine Verwertung am allgemeinen Markt kommt daher eher nicht in Betracht, sondern allenfalls innerhalb der Erbengemeinschaft. Da die Miterben über einzelne Nachlassgegenstände nur gemeinschaftlich verfügen können, ist eine Verwertung bei dauerhafter und ernstlicher Weigerung, den Nachlassgegenstand zu verkaufen, im Bewilligungszeitraum aber kaum anzunehmen. So hat das LSG NRW für ein Sechstel Erbanteil an einem Nachlass, der nur aus einem Hausgrundstück besteht und die anderen Mitglieder der Erbengemeinschaft kein Interesse am Kauf des Erbanteils haben, entschieden, dass für einen Ein-Sechstel-Anteil an einem Hausgrundstück kein Markt für den Verkauf an einen Dritten besteht.
Die h.M. verlangt vom Miterben, dass er Verwertungsbemühungen unternehmen muss. Tut er dies nicht, besteht kein tatsächliches Verwertungshindernis. Lässt sich ein solches Verwertungsverlangen nicht feststellen, geht dies zu seinen Lasten.
b) Beispiel Anspruch auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft
Rz. 104
Der Anspruch auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft und der damit verbundene Anspruch auf einen Anteil am Auseinandersetzungsguthaben (§ 2047 BGB) stellt grundsätzlich einen verwertbaren Vermögensgegenstand dar. Auch hier muss der Leistungsberechtigte auf jeden Fall gegenüber den Miterben die Zustimmung zur Auflösung der Erbengemeinschaft ernsthaft verlangen und weiterverfolgen – mit den entsprechenden Konsequenzen, wenn er es nicht tut.
Wenn er die Auseinandersetzung ernsthaft verlangt und damit scheitert, dann hat dies – zumindest für die ersten Bewilligungszeiträume – Unverwertbarkeit zu Folge haben, weil wegen der dann notwendig werdenden Klage nicht absehbar sei, wann er einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Auseinandersetzungsanspruch ziehen kann: "Denn eine Klage auf umfassende Auseinandersetzung eines Nachlasses unter Beachtung der Regeln der §§ 2046 – 2048 BGB und § 2042 Abs. 2 BGB kann in der Praxis der Instanzgerichte erhebliche Schwierigkeiten bereiten und langwierig sein. Das Vermögen wäre also in einem absehbaren Zeitraum tatsächlich nicht verwertbar gewesen."
Rz. 105
Eine Klage verlangt das BSG nicht und geht von zumindest temporärer Unverwertbarkeit aus, weist aber auf die Möglichkeit der Leistungssanktion nach § 31 SGB II hin, was von der Kommentarliteratur als inkonsequent kritisiert wird.
c) Miteigentumsanteil und Auseinandersetzungsanspruch
Rz. 106
Auch die nicht erzwingbare Zustimmung der nichteinsatzverpflichteten Miteigentümer kann der Verwertung eines unangemessenen Hausgrundstücks entgegenstehen. Entsprechendes gilt für andere Miteigentumsanteile. Die theoretische Möglichkeit der Verwertung – z.B. in der Form der Teilungsversteigerung – ersetzt nicht die Feststellung der konkreten Verwertungsmöglichkeit im Einzelfall. Nicht jede Immobilie ist konkret durch Teilungsversteigerung auf dem Markt unterzubringen. Das gilt insbesondere, wenn sie noch hoch belastet ist (§§ 44, 52 ZVG).
Wenn die Aufhebung einer Miteigentumsgemeinschaft nach § 749 BGB nicht möglich ist, weil dieser der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung wegen einer besonderen Härte entgegensteht, so bleibt der Miteigentumsanteil zwar grundsätzlich immer noch verwertbar, hat aber ggf. keinen wirtsc...