Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 250
Fallbeispiel 70: Von allem etwas
A bezieht Alg II. Seine Ehefrau E ist dauerhaft erwerbsgemindert und im Pflegegrad 2 eingruppiert. Sie bezieht Grundsicherung nach SGB XII. A erreicht in acht Monaten das reguläre Rentenalter. Seine Rente wird auch dann nicht ausreichen, um seinen Elementarbedarf zu decken. Die Eheleute haben ein kleines Hausgrundstück von 90 qm, das sie selbst bewohnen. Es ist mit 20.000 EUR Restschuld belastet. A erbt von seiner Mutter 60.000 EUR und fragt an, wie es weitergeht. Er will das Immobiliendarlehen ablösen und Schulden bezahlen.
Er fragt alternativ an, ob es jetzt nicht besser wäre, die Schulden zu tilgen und die Immobilie auf den Sohn gegen Vorbehalt eines Wohnungsrechtes zu übertragen.
Was ist, wenn A die Immobilie nicht überträgt und ohne Testament verstirbt?
Rz. 251
Falllösung Fallbeispiel 70 – Variante 1:
Die Ehegatten bilden eine sog. "gemischte Bedarfsgemeinschaft". Ehefrau E bezieht kein Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II, weil sie dauerhaft voll erwerbsgemindert ist. Sie erfüllt damit die Voraussetzungen für Leistungen nach § 41 SGB XII. Folglich bezieht
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A: Grundsicherung für Arbeitsuchende in der Form der Grundsicherung zum Lebensunterhalt (Alg II = § 19 S. 1 SGB II) |
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E: Grundsicherung für dauerhaft voll Erwerbsgeminderte nach § 41 SGB XII. |
A und E trifft als Sozialleistungsbezieher jeweils die Pflicht, die Erbschaft ihrem Sozialleistungsträger bekanntzugeben (§§ 60 ff. SGB I). "Es liegt für jeden vernünftig denkenden SGB II-Bezieher auf der Hand, dass der Zufluss eines erheblichen Geldbetrages sich auf bedürftigkeitsabhängige Sozialleistungen auswirken kann. Das Unterlassen der Angabe ist zumindest grob fahrlässig."
Die Erbschaft ist während des Bezuges nachrangig ausgestalteter Sozialleistungen angefallen. Der Nachlass besteht in Geld und ist daher für A Einkommen nach §§ 11 SGB II. Für E stellt sie sich als Einkommen des Ehemannes im Sinne von §§ 19 Abs. 2, 82 ff. SGB XII in Verbindung mit §§ 41, 43 SGB XII dar.
Solange der Zufluss noch nicht erfolgt ist, handelt es sich aber noch nicht um "bereite" Mittel. Eine vollständige Leistungsunterbrechung verstieße gegen das Faktizitätsprinzip. Für A ist damit zu rechnen, dass der Zufluss in Kürze erfolgen kann. Nach § 24 Abs. 4 S. 1 SGB II kann ihm ein Darlehen gewährt werden, wenn in dem Monat, für den die Leistungen erbracht werden, voraussichtlich Einnahmen anfallen. Für seine Ehefrau gibt es diese Möglichkeit nicht.
Rz. 252
Wenn A 60.000 EUR aus dem Nachlass zufließen, ist dieses sozialhilferechtliche“ Einkommen nach § 11a Abs. 3 S. 4 SGB II auf einen Zeitraum von sechs Kalendermonaten zu verteilen. Der Bedarf an Grundsicherung zum Lebensunterhalt von A wird durch die Nachlassmittel gedeckt. A "fällt" daher aus dem Leistungsbezug. Der Anspruch geht unter.
Für E erfolgt die Prüfung nach §§ 19 Abs. 2, 41, 43, 82 ff. SGB XII, ob ihr Ehemann leistungsfähig ist. Das ist der Fall. Auch für sie endet der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach § 41 SGB XII. Wie bei ihrem Ehemann wird der einmalig anfallende Nachlass als Einkommen nach § 82 Abs. 7 SGB XII auf sechs Kalendermonate verteilt. Würde sie Hilfe in speziellen Lebenslagen benötigen, z.B. Hilfe zur Pflege, müssten die §§ 85 ff. SGB XII zusätzlich geprüft werden.
Wenn A und E "aus der Sozialhilfe fallen", dann ist dies nach dem Sachverhalt nur vorübergehend, denn ihre Mittel reichen für die Zukunft nicht nachhaltig aus. Fraglich ist, ob die Ehegatten nach Verbrauch der Mittel wieder einen Anspruch auf "ihre" Leistungen haben.
Grundsätzlich hat man seine Mittel im Leistungsbezug für seinen Lebensunterhalt einzusetzen, nicht aber für seine Schuldentilgung. Außerhalb des Leistungsbezuges gibt es aber keine Obliegenheit Geld nur in Höhe des jeweiligen Regelbedarfs einzusetzen. Ist das Geld innerhalb des Leistungsbezuges – z.B. zur Schuldentilgung – "verbraucht worden", ist dies im SGB II und SGB XII missbilligt. Und auch ein Verbrauch in der Zeit, in der man "aus der Sozialhilfe gefallen" ist, ist als vorsätzliches Sichbedürftigmachen ggf. nicht unproblematisch.
Rz. 253
Nach der Rechtsprechung des BSG verwandelt sich das ererbte Einkommen nach Ablauf des Verteilzeitraumes von sechs Kalendermonaten in Vermögen. Folglich würde bei einem Neuantrag von A und E ein evtl. noch vorhandener Restnachlass als vorhandenes Vermögen des A nach § 12 SGB II angesehen werden.
Es gelten für A für das verbleibende Vermögen die Vermögensschontatbestände des § 12 SGB II:
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9.750 EUR x 2 als max. Betrag für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende Person (§ 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und S. 2 Nr. 1 SGB II) |
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das selbstbewohnte Haus (§ 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II) |
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750 EUR x 2 für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende Person (§ 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II). |
E unterfällt dem SGB XII und A ist mit E in Einsatzgemeinschaft. Dort gibt es nur den kleinen Barbetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII, nämlich jeweils 5.000 EUR.
Aber hier handelt es sich um eine gemischte Bedarfsgemeinschaft. Also müssen A na...