Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 143
§ 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II stellt darauf ab, dass als Vermögen diejenigen Sachen und Rechte nicht zu verwerten sind, deren Verwertung für den Betroffenen entweder offensichtlich unwirtschaftlich sind oder eine besondere Härte bedeuten würde. Die Prüfung dieser Ausnahmetatbestände erfordert grundsätzlich zunächst die Feststellung, in welcher Form und in welchem Zeitraum eine Verwertung für die Leistungen nach dem SGB II beanspruchende Person tatsächlich und rechtlich möglich ist. Denn erst auf dieser Grundlage kann sodann geprüft werden, ob die Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde.
1. Offensichtlich unwirtschaftlich (§ 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II)
Rz. 144
Offensichtlich unwirtschaftlich ist eine Verwertung, wenn der zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegenstandes steht. Es ist auf das ökonomische Kalkül eines rational handelnden Marktteilnehmers abzustellen.
Es ist festzustellen, welchen Verkehrswert der Vermögensgegenstand gegenwärtig auf dem Markt hat. Dem ist der Substanzwert gegenüberzustellen. Künftige Gewinnaussichten bleiben dabei außer Betracht. Eine absolute Grenze lässt sich aber nicht ziehen. "Die Verneinung einer absoluten Grenze folgt aus dem Charakter der gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriffe "offensichtlich" und "unwirtschaftlich", die trotz ihrer Auslegung und Konkretisierung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, z.B durch Fallgruppen, letztlich unbestimmt bleiben und ihrer Anwendung im jeweiligen Einzelfall bedürfen."
Rz. 145
Bei der Prüfung der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit der Verwertung eines ererbten Hauses kommt es nicht darauf an, ob und welchen Wertverlust ein Hausgrundstück seit seiner Erstellung bis zum Erbfall erlitten hat. Es kommt allein auf den möglichen Wertverlust zwischen Anfall der Erbschaft und Antragstellung an. Ein weitergehender Schutz von Vermögen, das nicht die (frühere) eigene wirtschaftliche Position des Hilfebedürftigen widerspiegelt, ist nach der Rechtsprechung des BSG nicht gerechtfertigt.
Auch die Verwertung eines Grundstücks durch Zwangsversteigerung ist nach der Rechtsprechung des BSG nicht in jedem Fall als Verstoß gegen die Regeln der wirtschaftlichen Vernunft anzusehen. Ein objektiver Markteilnehmer würde die Aufrechterhaltung einer Erbengemeinschaft als unwirtschaftlich ansehen und reagieren, wenn der Nachlassgegenstand keinerlei Nutzungsmöglichkeit erfährt und sein Unterhalt zusätzliche Kosten mit sich bringt. "Sofern eine einvernehmliche Erbauseinandersetzung an der Weigerung eines Miterbens scheitert, bleibt für den Hilfebedürftigen wie für jeden anderen ökonomisch handelnden Marktteilnehmer keine andere wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit der Verwertung des Erbteils als die streitige Auseinandersetzung nach den gesetzlichen Regelungen. Dies gilt umso mehr, als die auf den Teilungsvorschriften der §§ 2042 Abs. 2, 2046 – 2048 BGB beruhende gesetzliche Regelung in der Praxis einen "heilsamen Einigungsdruck" auf die Miterben ausübt (und so im Laufe streitiger Verfahren vielfach eine einvernehmliche Regelung gefunden werden kann."
2. Besondere Härte
Rz. 146
Fallbeispiel 65: Der Übertragungsvertrag mit Pflegeverpflichtung und Wohnungsrecht
A war zum Zeitpunkt der Antragstellung Eigentümer eines Hausgrundstückes und eines unmittelbar angrenzenden unbebauten Grundstücks. Die Grundstücke hatte der Vater dem Kläger 1993 gegen Einräumung eines Wohnungsrechtes zu seinen Gunsten und zugunsten seiner Lebensgefährtin an einem Teil der Fläche übertragen und das Wohnungsrecht dinglich gesichert. Den anderen Teil bewohnten A und seine Ehefrau F. In dem Übertragungsvertrag aus 1993 heißt es:
"Sollte die Lebensgefährtin des Vaters vor dem Vater versterben oder aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen die Betreuung oder Pflege des Vaters nicht mehr durchführen, ist der Sohn verpflichtet, zusammen mit seiner Ehefrau, den Vater in dessen Wohnung zu betreuen und mit Essen und Trinken sowie mit allem was zum täglichen Leben gehört zu versehen. Im Falle der Gebrechlichkeit und Krankheit des Vaters hat der Sohn dafür zu sorgen, dass der Vater so gepflegt wird, wie es sein Gesundheitszustand erfordert. Bei Erkrankung des Vaters hat der Sohn auch für die Herbeirufung des Arztes und die Beschaffung der notwendigen Medikamente Sorge zu tragen."
Bei der Bewertung macht der Guta...