Rz. 254
Im Rahmen der Anwendung des § 2313 BGB findet die Beurteilung der Frage, ob ein Vermögensgegenstand oder eine Schuld als unsicher, zweifelhaft, ungewiss oder bedingt anzusehen ist, nicht (ausschließlich) aus der Perspektive des Todestages des Erblassers statt. Im Hinblick auf das Bestreben des Gesetzes, eine möglichst rasche und endgültige Regelung der Pflichtteilsansprüche zu gewährleisten, findet der Rechtsgedanke des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB (Wertaufhellung) Anwendung. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist vor diesem Hintergrund (ausnahmsweise) die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs.
Deshalb kommt es im Rahmen der Anwendung von § 2313 BGB nicht nur darauf an, wie ein Vermögensgegenstand oder Schuldposten zur Zeit des Erbfalls zu beurteilen war; vielmehr sind zwischen Erbfall und Geltendmachung eingetretene Entwicklungen zu berücksichtigen. Daher sind Rechte und Verbindlichkeiten, die zur Zeit des Erbfalls (noch) bedingt, zweifelhaft, ungewiss oder unsicher waren, aber bis zur Geltendmachung unbedingt, zweifelsfrei, gewiss oder sicher geworden sind, voll in Ansatz zu bringen. Soweit Bedingungen oder Zweifel nur noch teilweise bestehen, sind die unbedingten oder nicht mehr zweifelhaften Teile entsprechend in Ansatz zu bringen. Hingegen sind erst nach dem Erbfall aufkommende Zweifel oder Unsicherheiten im Rahmen des § 2313 BGB nicht zu berücksichtigen; der Tatbestand der Vorschrift muss bereits zur Zeit des Erbfalls bestehen. Dem steht aber nicht entgegen, dass wertaufhellende Umstände im Rahmen der Bewertung nach § 2311 BGB berücksichtigt werden. Im Übrigen bleibt es auch im Anwendungsbereich des § 2313 BGB hinsichtlich der eigentlichen Bewertung beim Stichtagsprinzip des § 2311 BGB.
Beispiel
Zum Nachlass gehört eine Forderung über 100.000 EUR. Der Schuldner war im Erbfall, nicht jedoch zum Zeitpunkt der Pflichtteilsgeltendmachung zahlungsfähig. Daher wird sie bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs nicht im Aktivnachlass angesetzt. Vier Jahre später wird jedoch überraschenderweise die Forderung beglichen, und zwar sogar samt der Verzugszinsen. Dann hat nach § 2313 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 3 BGB ein Ausgleich zu erfolgen; der Pflichtteilsberechtigte erhält aus den 100.000 EUR seinen Pflichtteilsanspruch, nicht jedoch aus den Verzugszinsen; auf die Verjährung (§ 2332 BGB) kann sich allerdings der Pflichtteilsschuldner nicht berufen.
Rz. 255
Maßgeblich für die Entscheidung, ob ein Vermögensgegenstand oder eine Verbindlichkeit als unsicher, ungewiss, bedingt oder zweifelhaft anzusehen ist, ist nicht die subjektive Ansicht des Erben, sondern die juristisch sachgerechte Beurteilung eines objektiven Dritten.
Im Einzelnen unterscheidet § 2313 BGB wie folgt: