Rz. 275
Verändert sich die Rechtslage dahingehend, dass die aufschiebende oder auflösende Bedingung eintritt, Ungewissheiten, Unsicherheiten oder Zweifel wegfallen, hat eine nachträgliche Ausgleichung zu erfolgen. Dabei kann es sowohl zu einer Pflichtteilserhöhung als auch zu einer entsprechenden Minderung kommen. Der Pflichtteilsberechtigte ist im Ergebnis so zu stellen, als ob die Bedingung bereits im Zeitpunkt des Erbfalls eingetreten gewesen wäre bzw. eine Unsicherheit, Ungewissheit oder Zweifel nicht bestanden hätten.
Entscheidend ist der Wegfall der anfangs bestehenden Zweifelhaftigkeit, nicht unbedingt die tatsächliche Realisierung einer Forderung. Denn ob der Erbe beispielsweise eine zunächst zweifelhafte, später aber unzweifelhaft realisierbare Forderung (aus persönlichen Gründen) tatsächlich nicht einzieht, spielt für die Anwendung von § 2313 BGB keine Rolle. Denn ein pflichtwidriges Unterlassen (oder anderweitig unsinniges Verhalten) führt aus der Sicht des Pflichtteilsberechtigten zu einem Schadensersatzanspruch gegenüber dem Erben (der durch sein Verhalten den Umfang des pflichtteilsrelevanten Nachlasses schmälert).
Für die praktische Umsetzung empfiehlt sich folgende Vorgehensweise:
Rz. 276
Die betroffene Vermögens- oder Schuldposition ist aus der Sicht des Stichtages zu bewerten. Zwischenzeitlich stattgefundene Wertveränderungen spielen grundsätzlich keine Rolle, der seit dem eingetretene Kaufkraftschwund soll aber berücksichtigt werden. Anschließend wird der ursprünglich der Pflichtteilsberechnung zugrunde gelegte Nachlasswert um den so bewerteten Vermögensgegenstand/Schuldposten bereinigt und sodann der Pflichtteil neu berechnet. Die Differenz gegenüber dem ursprünglichen Pflichtteil bildet den Ausgleichsbetrag nach § 2313 Abs. 1 S. 3 BGB.
Soweit der Pflichtteilsberechtigte bereits mehr erhalten hat, als ihm zusteht (z.B. weil eine zweifelhafte Verbindlichkeit nicht in die ursprüngliche Berechnung Eingang gefunden hatte), ist er verpflichtet, den ihm tatsächlich nicht (mehr) zustehenden Betrag an den Erben wieder herauszugeben.
Rz. 277
Die Ausgleichsforderung des Pflichtteilsberechtigten (also im Falle einer Pflichtteilserhöhung) ist pflichtteilsrechtlicher Natur, so dass für sie grundsätzlich auch die Verjährungsfrist des § 2332 BGB gilt. Allerdings beginnt die Verjährungsfrist insoweit nicht vor Eintritt der Bedingung, der Sicherheit oder Gewissheit.
Rz. 278
Die Rechtsnatur der Ausgleichsforderung des Erben, die diesem im Falle einer Pflichtteilsreduzierung zusteht, ist umstritten. Einerseits kommt die Anwendung von Bereicherungsrecht in Betracht, wobei zu beachten ist, dass einer Entreicherungseinrede des Pflichtteilsberechtigten nach § 818 Abs. 3 BGB durch Anwendung von § 819 Abs. 1 BGB begegnet werden könnte. Andererseits wird der Ausgleichsanspruch auch – zutreffend – als pflichtteilsrechtlicher Anspruch eigener Art angesehen, so dass sich die Problematik des § 818 Abs. 3 BGB gar nicht stellt.
Rz. 279
Eine Sicherheitsleistung für die Ausgleichsforderung kann weder der Erbe noch der Pflichtteilsberechtigte verlangen; es gelten die allgemeinen Grundsätze für den Schutz bedingter Ansprüche (§ 916 Abs. 2 ZPO). Der Erbe braucht sich die Ausgleichung im Pflichtteilsprozess nicht in der Urteilsformel vorbehalten zu lassen. Nach § 2313 Abs. 2 S. 2 BGB ist der Erbe ausdrücklich verpflichtet, im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung für die Feststellung und Durchsetzung von unsicheren Rechten zu sorgen.