I. Stufen der Nachlassbewertung
Rz. 1
Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils (§ 2303 BGB). Er wird daher bestimmt durch die Pflichtteilsquote (siehe § 3 Rdn 42 ff.) und die Höhe des Nachlasswertes. Zur Ermittlung der Höhe des Nachlasswertes machen die §§ 2311 und 2312 BGB (für das Landgut) sowie § 2313 BGB für bedingte, unsichere und ungewisse Rechte und Verbindlichkeiten zwar einige, im Ergebnis aber doch nur wenige konkrete Vorgaben. Die maßgebliche Norm ist § 2311 BGB, die allerdings für sich allein nicht sehr aussagekräftig ist und nur durch eine Betrachtung der dem Pflichtteilsrecht zugrunde liegenden Systematik die für die Praxis erforderliche Konkretisierung erfahren kann.
Rz. 2
Für die Bestimmung der Höhe des Nachlasswertes ist in zwei Schritten vorzugehen:
(1) Zunächst ist der Nachlassbestand festzustellen. Es sind also alle Aktiva und Passiva des Erblasservermögens sowie die pflichtteilsrelevanten, durch den Erbfall ausgelösten Verbindlichkeiten zu ermitteln. Diesbezüglich hat der Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch auf Auskunft (§ 2314 Abs. 1 S. 1 BGB) und auf Erstellung eines Nachlassverzeichnisses (§ 2314 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB).
(2) Anschließend ist der so ermittelte Bestand zu bewerten, und zwar hinsichtlich der Aktiv- wie Passivposten. Diesbezüglich steht dem Pflichtteilsberechtigten ein Wertermittlungsanspruch (§ 2314 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB) zu.
Rz. 3
Für die Pflichtteilsermittlung folgt daraus folgendes Schema:
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Feststellung des Nachlassbestandes
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Ermittlung des pflichtteilsrelevanten Aktivnachlasses |
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Ermittlung des pflichtteilsrelevanten Passivnachlasses |
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Feststellung des Nachlasswertes
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Wertfeststellung des pflichtteilsrelevanten Aktivnachlasses |
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Wertfeststellung des pflichtteilsrelevanten Passivnachlasses |
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Pflichtteilsrelevanter Nettonachlass: Aktivnachlass minus Passivnachlass |
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Pflichtteil = Pflichtteilsquote x Nettonachlass. |
II. Bewertungsziel, Grundsätze der Nachlassermittlung und -bewertung
Rz. 4
Entsprechend der grundlegenden Wertung sowohl des BVerfG als auch des BGH ist der Pflichtteilsberechtigte wirtschaftlich so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er zu dem seinem Pflichtteil entsprechenden Bruchteil Erbe geworden wäre. Das Pflichtteilsrecht stellt also die Absicherung einer gesetzlich garantierten Mindestteilhabe am Nachlass des Erblassers dar. Dies muss auch auf die Bewertung des pflichtteilsrelevanten Nachlasses durchschlagen.
Rz. 5
Vor diesem Hintergrund sind etwa aus der Rechtsprechung zur Vermögensbewertung im Rahmen des Zugewinnausgleichs abzuleitende Erkenntnisse nur eingeschränkt auf die Bewertung für Zwecke des Pflichtteilsrechts übertragbar. Denn beim Zugewinn geht es um den Ausgleich des Vermögenszuwachses zwischen Anfangs- und Endvermögen (§§ 1374, 1375 BGB) und damit um eine mehr zeitabschnittsweise, zurückliegende Betrachtung mit ganz anderen Bewertungszielen. Ziel der Bewertung im Pflichtteilsrecht ist es, den vollen, wirklichen Wert der einzelnen Nachlassgegenstände und somit des Nachlasses insgesamt zu ermitteln. Außerdem darf nicht übersehen werden, dass – z.B. bei zu bewertenden Unternehmen – der Tod des Erblassers (der gleichzeitig die Rolle des Unternehmers ausfüllte) Auswirkungen auf die Bewertung haben kann.
Rz. 6
Dass durch den Erblasser angeordnete Wertfestsetzungen bzw. Vorgaben im Rahmen der Nachlassbewertung für Pflichtteils-Zwecke nicht verbindlich sein können, stellt § 2311 Abs. 2 S. 2 BGB ausdrücklich klar. Die Regelung erfasst aber über ihren Wortlaut hinaus nicht nur Anordnungen zum Ansatz dem Grunde nach sowie konkrete Wertangaben, sondern auch die Vorgabe bestimmter Bewertungsmethoden, wenn bzw. soweit diese nicht die Ermittlung des wahren Wertes zum Ziel haben. Selbst die Person des Schätzers kann der Erblasser nicht vorschreiben, da sonst eine mittelbare Beeinflussung des Schätzungsergebnisses denkbar wäre. Etwas anderes gilt nur nach Maßgabe des § 2312 BGB bei einem Landgut, bei dem der i.d.R. wesentlich niedrigere Ertragswert der Pflichtteilsberechnung zugrunde gelegt werden kann, oder wenn die Voraussetzungen der Pflichtteilsentziehung gegeben wären (§§ 2333 ff. BGB).
Rz. 7
Die Darlegungs- und Beweislast für den Wert des dem Pflichtteilsanspruch zugrunde liegenden Nachlasses trägt grundsätzlich der Pflichtteilsberechtigte. Hat beispielsweise der Erbe eine Nachlassverbindlichkeit substantiiert dargelegt, muss der Pflichtteilsberechtigte deren Nichtbestehen beweisen. Selbst eine objektiv unrichtige Auskunft des Erben im Vorfeld der Klageerhebung hat keine Beweislastumkehr zur Folge; der Erbe ist demzufolge selbst für eine von ihm geltend gemachte Überschuldung des Nachlasses nicht beweispflichtig.