I. Bewertungsgrundsätze
1. Bewertungsziel
a) Allgemeines – gesetzliche Vorgaben
Rz. 64
Das Gesetz enthält in den §§ 2311, 2312 und 2313 BGB nur unvollständige Vorgaben für die Nachlassbewertung. Eine allgemeinverbindliche Wertdefinition existiert nicht. Dessen ungeachtet werden aus dem Kontext der genannten Vorschriften verschiedene Wertungen des Gesetzgebers deutlich, aus denen sich weitere Grundsätze für die Bewertung des Nachlasses zum Zwecke der Pflichtteilsberechnung ableiten lassen. Der historische Gesetzgeber ging davon aus, der Pflichtteilsberechtigte sei durch den Pflichtteil materiell in Geld so zu stellen, als wäre er mit seiner Pflichtteilsquote Erbe geworden.
Für die Werthaltigkeit des Nachlasses ist der Pflichtteilsberechtigte darlegungs- und beweispflichtig.
Rz. 65
Nach dem Verständnis sowohl des BVerfG als auch des BGH zielt das Pflichtteilsrecht grundsätzlich darauf ab, den Pflichtteilsberechtigten wirtschaftlich so zu stellen, als wäre er zu einem dem Pflichtteil entsprechenden Bruchteil Erbe geworden. Das Pflichtteilsrecht stellt also einen wirtschaftlichen Ausgleich für die enttäuschte Erberwartung dar, die der Pflichtteilsberechtigte aufgrund der Regelungen der gesetzlichen Erbfolge haben durfte. Daher ist es das Ziel der Bewertung, den vollen, wirklichen Wert der einzelnen Nachlassgegenstände und somit des Nachlasses insgesamt zu ermitteln.
Rz. 66
Vom Erblasser getroffene Wertfestsetzungen müssen daher unbeachtlich (§ 2311 Abs. 2 S. 2 BGB) bleiben. Etwas anderes gilt nur nach Maßgabe des § 2312 BGB bei einem Landgut, bei dem der i.d.R. wesentlich niedrigere Ertragswert der Pflichtteilsberechnung zugrunde gelegt werden kann, oder wenn die Voraussetzungen der Pflichtteilsentziehung gegeben wären (§§ 2333 ff. BGB).
Etwas anderes gilt nur nach Maßgabe des § 2312 BGB bei einem Landgut, bei dem der i.d.R. wesentlich niedrigere Ertragswert (zu den Wertunterschieden zwischen normalem Verkehrswert und landwirtschaftlichem Ertragswert vgl. Rdn 283 ff.) der Pflichtteilsberechnung zugrunde gelegt werden kann, oder wenn die Voraussetzungen der Pflichtteilsentziehung gegeben wären (§§ 2333 ff. BGB).
Davon abgesehen gibt das Gesetz aber keine eindeutige Antwort auf die Frage, wie die Wertermittlung tatsächlich durchzuführen ist.
Rz. 67
Dies gilt umso mehr, als eine allgemeinverbindliche Wertdefinition nicht existiert – weder in § 2311 BGB noch in anderen heranzuziehenden gesetzlichen Vorschriften. Dessen ungeachtet werden aus dem Kontext der §§ 2311 bis 2313 BGB verschiedene Wertungen des Gesetzgebers deutlich, aus denen sich weitere Grundsätze für die Bewertung des Nachlasses zum Zweck der Pflichtteilsberechnung ableiten lassen.
b) Perspektive der Rechtsprechung
Rz. 68
In mittlerweile "ständiger" Rspr. beschreibt der BGH das pflichtteilsrechtliche Bewertungsziel wie folgt: "Der Pflichtteilsberechtigte ist wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden."
Diese Aussage sei – so der IV. Senat – der Grundgedanke des Gesetzes, was der BGH bereits in seinem Urteil vom 30.9.1954 so festgestellt habe. Dort ist von einem Umsetzen des Nachlasses in Geld jedoch bezeichnenderweise gar keine Rede. Vielmehr beschränkte sich das Gericht seinerzeit auf...