Rz. 112
Besteht kein gängiger Marktpreis und kommt auch kein Wertansatz aufgrund eines tatsächlich erzielten Kaufpreises in Frage, so ist eine Schätzung erforderlich. Dies gilt auch und gerade dann, wenn bei einem landwirtschaftlichen Anwesen nach § 2312 BGB der i.d.R. im Vergleich zum Verkehrswert wesentlich niedrigere Ertragswert zugrunde gelegt werden kann, wobei es hier besonders schwierig ist, einen qualifizierten Gutachter zu finden. Eine bestimmte Methode für die Wertermittlung ist im Pflichtteilsrecht nicht vorgeschrieben. Für die Bewertung kommen grundsätzlich folgende Verfahren in Betracht. Sie können untereinander kombiniert oder aber durch entsprechende Differenzierung weiterentwickelt werden:
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Vergleichswertverfahren: Wenn ein Markt mit festen Preisvorstellungen für vergleichbare Objekte besteht, kann auf Vergleichspreise zurückgegriffen werden. |
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Substanz- oder Sachwertverfahren: Angesetzt wird der Wiederbeschaffungspreis des veräußerungsfähigen Vermögensgegenstands (Reproduktionswert). Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Nachlass so viel wert ist, wie benötigt würde, um ein vergleichbares Objekt zu reproduzieren. |
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Ertragswertverfahren: Es kommt zur Anwendung bei ihrer Art nach grundsätzlich ertragsfähigen Nachlassobjekten und ist der Barwert der zukünftig erzielbaren Einnahme-Überschüsse. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass ein Käufer sich bei seiner Investitionsentscheidung und damit Kalkulation des Kaufpreises immer an dem zu erwartenden Ertrag orientieren würde. |
Rz. 113
Da das Wertgutachten – praktisch betrachtet – oft eine ganz erhebliche Weichenstellung im Rahmen der Pflichtteilsauseinandersetzung darstellt, ist auf seine Einholung und Überprüfung besondere Sorgfalt zu verwenden. Dies beginnt bereits bei der Auswahl des Gutachters und der anzuwendenden Bewertungsmethode.
Rz. 114
Zu beachten sind auch die beschränkten prozessualen Auswirkungen eines Privatgutachtens, das der Erbe veranlasst: Der Pflichtteilsberechtigte ist hieran nicht gebunden, vielmehr stellt es nur ein substantiiertes Vorbringen des Pflichtteilsschuldners dar. Anders liegt es, wenn im Einvernehmen mit dem Pflichtteilsberechtigten ein Schiedsgutachten erstellt wird, das aber auch dann angefochten werden kann, wenn sich die Unbilligkeit aufdrängt.
Rz. 115
Nach der Rechtsprechung ist es grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters, unter Zuziehung eines Sachverständigen zu entscheiden, welche von mehreren in Betracht kommenden Bewertungsmethoden im jeweiligen Einzelfall zu einem angemessenen Ergebnis führt. Aufgabe des sachverständig beratenen Gerichts ist dabei, die richtige Bewertungsmethode im Hinblick auf ihre Eignung im konkreten Fall sachverhaltsspezifisch auszuwählen und anzuwenden.
Soweit bezüglich der Anwendbarkeit einer bestimmten Bewertungsmethode aus betriebswirtschaftlichen oder juristischen Gründen Zweifel bestehen, muss sich der Gutachter mit diesen im Rahmen seiner Berichterstattung auseinandersetzen und darlegen, wieso er einer bestimmten Methode den Vorzug gibt. Denn die dem Sachverständigen zustehende Wahlfreiheit im Hinblick auf die Bewertungsmethode darf bei pflichtteilsrechtlich veranlassten Bewertungen nicht zu einer Methodenverkürzung in dem Sinne führen, dass der Sachverständige die einschlägigen Befundtatsachen nur nach Maßgabe (irgend) einer von ihm bevorzugten Methode feststellt.
Rz. 116
Die Entscheidung des Tatrichters im Rahmen der vorzunehmenden Bewertung ist Tatfrage, die im Rahmen des Revisionsverfahrens nur eingeschränkt überprüfbar ist, und zwar im Wesentlichen nur darauf, ob die Tatsacheninstanz von rechtsfehlerhaften Erwägungen ausgegangen ist und gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen hat. Die Definition des Bewertungsziels ist hingegen eine echte Rechtsfrage, die in vollem Umfang in der Revision überprüft werden kann. Gerade im Bewertungsrecht können Tatsachen- und Rechtsfragen häufig miteinander verschwimmen. Daher ist es auch erforderlich, dass der Tatrichter etwaige Entscheidungen über die zugrunde zu legende Bewertungsmethode entsprechend begründet.
Diese Frage hat aber u.U. auch bereits für das Berufungsverfahren erhebliche Bedeutung. Denn die Berufung kann gem. § 513 Abs. 1 ZPO nur auf eine Rechtsverletzung gestützt werden oder darauf, dass nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatschen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dabei sind auch die weitreichenden Präklusionsmöglichkeiten nach §§ 530, 531 ZPO zu beachten.
Rz. 117
Praxishinweis
Aus Vorsichtsgründen muss man davon ausgehen, dass Bewertungsstreitigkeiten bereits in der ersten Instanz endgültig verloren werden können. Die Gerichte folgen gerne einem nicht offenkundig falschen Gutachten. Daher müssen Einwendungen dagegen substantiiert vorgetragen werden. Neue Gutachten nach § 412 ZPO werden oftmals nur zurückhaltend angeordnet.