Rz. 25
Der Erbfall kann dazu führen, dass Forderungen oder Verbindlichkeiten des Erblassers, die ursprünglich zwischen ihm und dem Erben bestanden, erlöschen. Ob dies tatsächlich der Fall ist, hängt allein von dem Zufall ab, dass der Erblasser einen Gläubiger bzw. Schuldner zum Erben berufen hat, und darf daher auf den Umfang des Pflichtteilsanspruchs keinen Einfluss haben.
Vor diesem Hintergrund leitet die h.M. aus dem Rechtsgedanken der §§ 1978, 1991 Abs. 2, 2143, 2175 und 2377 BGB den Grundsatz ab, dass Forderungen und Verbindlichkeiten des Erblassers, die infolge des Erbfalls durch Konfusion bzw. Konsolidation wegfallen, im Rahmen der Nachlassbewertung für Zwecke der Pflichtteilsberechnung als nicht erloschen gelten. Sinn und Zweck des Pflichtteilsrechts ist es, dem Pflichtteilsberechtigten eine Mindestbeteiligung am Nachlass zu sichern. Er soll die Hälfte dessen erhalten, was ihm zugestanden hätte, wenn die gesetzliche Erbfolge eingetreten wäre. Bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge wären aber die hier in Rede stehenden Forderungen bzw. Verbindlichkeiten nicht durch Konfusion bzw. Konsolidation erloschen, da eine Vereinigung in der Person des Erben dann nicht (jedenfalls nicht in voller Höhe) eingetreten wäre. Dieser Grundsatz gilt gleichermaßen für Forderungen wie auch Verbindlichkeiten des Erblassers.
Rz. 26
Die sich aus diesen Grundsätzen ergebenden praktischen Probleme dürfen nicht unterschätzt werden.
Rz. 27
Beispiel 1
Baron B ist Besitzer umfangreicher Landgüter. Er will, dass diese möglichst frei von jeder Pflichtteilsbelastung sein Sohn S erhält. Der weitere Sohn K führt einen Lebenswandel, mit dem die Eltern nicht einverstanden sind, der aber nicht zur Pflichtteilsentziehung ausreicht, und soll möglichst wenig erhalten. Die Ehefrau von B, Baroness F, ist mit jeder geplanten Regelung einverstanden.
Der Rechtsberater empfiehlt, dass B seinen Sohn S zum Alleinerben einsetzt und für Baronin F Versorgungsvermächtnisse angeordnet werden. Dadurch soll vermieden werden, dass im Falle des Vorversterbens von B durch eine Vererbung des umfangreichen Vermögens an F der Sohn K aus dem Besitz des Barons zweimal seinen Pflichtteil verlangen kann. Auch F errichtet ein Testament, in dem sie den Sohn S zum Alleinerben einsetzt.
B verstirbt; seine Frau F verstirbt aus Gram lediglich zwei Monate später. K macht den Pflichtteil sowohl nach B geltend als auch nach F. Dabei beruft er sich darauf, dass zum Nachlass der F auch der ihr nach dem Tod ihres Mannes entstandene Pflichtteilsanspruch gehört. S ist hiervon völlig überrascht und entgegnet, dass doch zumindest dieser Pflichtteilsanspruch der Mutter infolge von Konfusion erloschen sein müsste, weil er deren Erbe wurde.
Dies ist nicht zutreffend, denn es darf keine Konfusion zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten angenommen werden; zum Nachlass der F gehört daher noch ihr (großer) Pflichtteil. Beachte: Der Pflichtteil der F bestand bereits mit dem Erbfall, er musste nicht erst geltend gemacht werden.
Praxishinweis
Der Pflichtteil des Ehegatten bzw. gleichgeschlechtlichen Lebenspartners darf bei der Nachlassplanung nicht außer Acht gelassen werden. Er kann an andere vererbt oder die Grundlage für die Pflichtteilsberechnung Dritter werden.
Rz. 28
Beispiel 2
Erblasser E hat gegen den einzigen Pflichtteilsberechtigten eine Forderung von 10.000 EUR; der sonstige Nachlass hat einen Wert von 100.000 EUR. Der Pflichtteil beträgt 1/2 x 110.000 EUR = 55.000 EUR. Jedoch kann der Erbe gegen den Pflichtteilsanspruch die Aufrechnung erklären, sobald der Pflichtteilsanspruch nach § 852 Abs. 1 ZPO der Pfändung unterworfen ist (§ 394 S. 1 BGB).
Beispiel 3
Der einzige Pflichtteilsberechtigte P hat gegen den Erblasser El eine Darlehensforderung i.H.v. 10.000 EUR. Der übrige Nachlass hat einen Wert von 100.000 EUR. Der Pflichtteil beträgt daher (100.000 EUR – 10.000 EUR) x ½ = 45.000 EUR.
Rz. 29
Zum Vermögen zählen alle Gegenstände, die dem Erblasser gehörten, also nicht nur die zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits begründeten Rechtspositionen, sondern auch sämtliche vermögensrechtlichen Positionen oder Beziehungen, die der Erblasser noch vor seinem Tod eingeleitet hat, die sich aber erst zu einem späteren Zeitpunkt in endgültigen Rechtswirkungen manifestieren.