1. Anwendungsbereich
Rz. 284
Die Vorgaben von § 2312 BGB sind prinzipiell für alle pflichtteilsrechtlichen Ansprüche zu beachten, also nicht nur i.R.d. Berechnung des ordentlichen Pflichtteils, sondern auch beim Pflichtteilsrestanspruch.
Bei der Berechnung etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche setzt die Anwendung des Ertragswertprivilegs jedoch voraus, dass jedenfalls im Zeitpunkt des Erbfalls die Landguteigenschaft i.S.d. § 2312 BGB gegeben ist und ein Wille zur Fortführung besteht. Ob diese auch im Zeitpunkt der Zuwendung schon bestand oder ob der Übernehmer die Anwendungsvoraussetzungen des § 2312 BGB erst durch eigenes Handeln zwischen Übernahme und Erbfall herbeiführt, ist irrelevant.
Fällt die Landgut-Eigenschaft zwischen Abschluss des Schenkungsvertrages und Erbfall weg, ist § 2312 BGB nicht anwendbar.
Ist der Erblasser Eigentümer zweier oder mehrerer Landgüter, wird die Anwendbarkeit von § 2312 BGB teilweise abgelehnt, was aber im Zweifel mit den agrarpolitischen Zielsetzungen der Vorschrift nicht vereinbar ist, selbst wenn es hierdurch im Ergebnis zu massiven Begünstigungen des Übernehmers kommen kann.
Rz. 285
§ 2312 BGB ist von vornherein unanwendbar, wenn die Hofesnachfolge sich aufgrund einer landwirtschaftlichen Sondernachfolge nach den höfe- bzw. anerbenrechtlichen Bestimmungen i.S.d. Art. 64 EGBGB vollzieht. Sonderbestimmungen der HöfeO sind vor allem in Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (also in der ehemaligen britischen Besatzungszone) zu beachten. Keine Sonderbestimmungen gelten in Bayern sowie in den neuen Bundesländern. Allerdings wurde in Brandenburg die (neue) Brandenburgische Höfeordnung (Bbg HöfeO) mit Gesetz vom 19.6.2019 wieder eingeführt.
Rz. 286
Praxishinweis
Aus der Sicht des Übernehmers eines Hofes sind bis zum Erbfall, am besten auch noch einige Jahre darüber hinaus, alle Nutzungsänderungen zu unterlassen, die den Eindruck einer ganzen oder teilweisen Betriebsaufgabe erwecken könnten.
2. Persönliche Voraussetzungen
Rz. 287
Gem. § 2312 Abs. 3 BGB muss der Übernehmer dem Kreis der nach § 2303 BGB pflichtteilsberechtigten Personen angehören. Ausreichend ist insoweit eine "abstrakte" Pflichtteilsberechtigung. Ob dem Übernehmer nach § 2309 BGB im konkreten Fall tatsächlich ein Pflichtteilsrecht zusteht, ist nicht entscheidend. Allerdings muss der Übernehmer des Landguts Gesamtrechtsnachfolger, also Erbe, sein; ein Übergang des Landguts kraft Vermächtniserfüllung führt nicht in den Anwendungsbereich von § 2312 BGB. Ist das Landgut Gegenstand eines Vorausvermächtnisses, ist dies für die Anwendung von § 2312 BGB natürlich unschädlich, da der Übernehmer in dieser Situation Erbe geworden und durch das Vermächtnis lediglich gegenüber den übrigen Miterben privilegiert wird, da er – anders als im Falle einer Teilungsanordnung – das Gut neben dem ihm im Übrigen hinterlassenen Erbteil erhalten soll.
Rz. 288
Soweit das Landgut lebzeitig übertragen und der Übernehmer später gar nicht Erbe wird, ist fraglich, wie ein etwaiger Pflichtteilsergänzungsanspruch zu berechnen ist. Zum einen kommt eine Berechnung auf Verkehrswertbasis in Betracht, zum anderen eine Art "gespaltene" Berechnung, in die im Falle der Inanspruchnahme des Erben (nach § 2325 BGB) der Verkehrswert und im Falle der Inanspruchnahme des Beschenkten (nach § 2329 BGB) der Ertragswert einbezogen wird. Sowohl nach dem Wortlaut als auch nach der ratio der Vorschrift wird man im Ergebnis davon ausgehen müssen, dass nur ein einheitlicher Berechnungsmodus zu nachvollziehbaren und stringenten Ergebnissen führen kann.
Insoweit ist davon auszugehen, dass § 2312 BGB jedenfalls analog anzuwenden ist, soweit im Zeitpunkt des Erbfalls (nicht zwingend bereits zum Zeitpunkt der Übertragung; vgl. Rdn 4) die Landguteigenschaft besteht. Das Ertragswertprivileg muss in diesen Fällen auch zugunsten des nicht das Landgut übernehmenden Erben anwendbar sein, und zwar unabhän...