Rz. 52

In der Praxis wird viel zu selten von der Möglichkeit der Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens nach §§ 485 ff. ZPO Gebrauch gemacht. Dieses Verfahren ist deshalb geschaffen worden, damit jede Partei die Möglichkeit hat, in einem laufenden oder späteren Rechtsstreit notwendige Beweise sichern zu lassen, die ansonsten verloren gehen oder nur sehr erschwert erbracht werden können.

 

Rz. 53

Gerade in Verkehrsunfallsachen sind viele Konstellationen denkbar, bei denen die Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens dringend geboten ist.

 

Beispiele

Sicherung von Bremsspuren, die ansonsten verwischt oder überlagert werden könnten;
Sichtsituation an der Unfallstelle, die durch Rückschnitt von Bäumen und Sträuchern verändert werden könnte;
Schlaglöcher u.a. in der Straße, die ansonsten beseitigt werden könnten.
 

Rz. 54

In derartigen Fällen kann es sich als Lotteriespiel erweisen, auf eine sorgfältige und korrekte Unfallaufnahme durch die Polizei zu vertrauen. Insbesondere dann, wenn keine Zeugen vorhanden sind, welche die Unfallschilderung des eigenen Mandanten bestätigen, kann es geboten sein, das selbstständige Beweisverfahren dahingehend einzuleiten, dass ein Sachverständiger anhand der beiden unfallbeschädigten Fahrzeuge damit beauftragt wird, ein Unfallrekonstruktionsgutachten zu fertigen.

 

Rz. 55

Dies ist regelmäßig nämlich bereits nach kurzer Zeit nicht mehr möglich, wenn die unfallbeschädigten Fahrzeuge repariert bzw. veräußert sind oder sich die Situation vor Ort verändert hat.

 

Rz. 56

Die Einleitung eines solchen selbstständigen Beweisverfahrens ist in zwei Varianten möglich:

Einnahme des Augenscheins, Vernehmung von Zeugen oder Begutachtung durch einen Sachverständigen auf Antrag einer Partei, wenn der Gegner zustimmt oder der Verlust des Beweismittels oder eine Erschwerung seiner Benutzung zu besorgen ist (§ 485 Abs. 1 ZPO),
schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen (§ 485 Abs. 2 ZPO).
 

Rz. 57

Die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen unterliegt nach § 485 Abs. 2 ZPO folgenden Voraussetzungen:

Der Rechtsstreit darf in der Hauptsache noch nicht anhängig sein.
Es muss ein rechtliches Interesse an der Sicherung des Beweises bestehen. Dieses ist nach dem Wortlaut des Gesetzes anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreites dienen kann. Die Formulierung des Gesetzes zeigt, dass nicht nur in den Fällen, in denen möglicherweise ein Rechtsstreit vermieden wird, das rechtliche Interesse zu bejahen ist. Das rechtliche Interesse ist daher immer anzunehmen, wenn der Gegner die Tatsache der Behauptung, über die das Beweissicherungsverfahren eingeleitet werden soll, bestreitet und die Behauptung für einen späteren Prozess von Bedeutung ist (Zöller, ZPO, § 485 Rn 7 und 7a).
 

Rz. 58

Weitere Voraussetzung ist, dass ein schriftliches Sachverständigengutachten und nicht ein sonstiges Beweismittel benannt wird, mit dessen Hilfe im selbstständigen Beweisverfahren die Beweistatsache gesichert werden soll. Das schriftliche Sachverständigengutachten kann dann auch in einem im Anschluss hieran anberaumten Verhandlungstermin nach § 492 Abs. 3 ZPO mündlich erläutert und erörtert werden.

 

Rz. 59

Bei Unvollständigkeit des Sachverständigengutachtens besteht darüber hinaus die Möglichkeit nach § 397 ZPO i.V.m. § 402 ZPO, ein vom Gutachter vorgelegtes Sachverständigengutachten ergänzen zu lassen.

 

Rz. 60

Letzte Voraussetzung ist, dass das Sachverständigengutachten zu den im Gesetz vorgegebenen Beweisfragen beantragt wird. Diese sind:

der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache
die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels
der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels.
 

Rz. 61

Auch im selbstständigen Beweisverfahren ist eine Streitverkündung zulässig (BGH VersR 1997, 855).

 

Rz. 62

 

Beachte

Auch für das selbstständige Beweisverfahren nach § 485 ZPO ist eine bestehende Rechtsschutzversicherung eintrittspflichtig, da es sich um eine notwendige Vorbereitungsmaßnahme für die Durchsetzung der Schadensersatzansprüche handelt.

Da es sich bei den im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens entstehenden Sachverständigenkosten um gerichtliche Auslagen und damit Verfahrenskosten handelt, sind diese – anders als regelmäßig Privatgutachterkosten – vom Deckungsumfang der Rechtsschutzversicherung umfasst (vgl. § 13 Rdn 361).

 

Rz. 63

Für die Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens erhält der Anwalt die vollen Gebühren (Vorbemerkung 3 Abs. 5 VV RVG).

 

Beachte

Kommt es im Beweisverfahren zu einer Einigung, so entsteht nach Nr. 1000 VV RVG eine Einigungsgebühr. Die Höhe der Einigungsgebühr beläuft sich auf 1,5, auch dann, wenn über die Gegenstände, über die sich die Parteien geeinigt haben, das Beweisverfahren anhängig ist (arg. e. Nr. 1003 VV RVG). Lediglich dann, wenn das Hauptsacheverfahren bereits anhängig ist, entsteht die Einigungsgebühr nur in Höhe von 1,0 (Nr. 1003 VV RVG). In einem Re...

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