Rz. 92
Zu erwägen ist auch bei einem Verkehrsunfall stets, ob aus taktischen Gründen – allein oder neben weiteren Leistungsanträgen – Feststellungsanträge sinnvoll sind.
1. Personenschäden
Rz. 93
Bei Personenschäden mit möglichen Dauerfolgen entspricht es bereits seit langer Zeit dem Standard, zum Schutz gegen eine drohende Verjährung einen Feststellungsantrag hinsichtlich zukünftiger materieller und immaterieller Schäden aufzunehmen (vgl. dazu § 12 Rdn 71 ff.).
2. Durch die Reparatur/Wiederbeschaffung entstehende weitere Schäden
Rz. 94
Ein weiterer häufig in Betracht kommender Fall ist, bei Klagen wegen Sachschäden an Kfz, die vor der Schadensbeseitigung erhoben werden, neben dem Leistungsantrag auf Ersatz des Netto-Reparaturaufwandes oder des Netto-Wiederbeschaffungsaufwandes einen zusätzlichen Feststellungsantrag mit aufzunehmen. Dieser kann z.B. wie folgt formuliert werden:
Formulierungsbeispiel
"Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen Schäden, die dem Kläger aufgrund des Verkehrsunfalles vom … noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind".
Rz. 95
Ein solcher Feststellungsantrag ist bereits im Hinblick auf die durch die Reparatur/Wiederbeschaffung entstehenden weiteren Schadenspositionen (z.B. Mehrwertsteuer, Nutzungsausfall) zulässig, wie vom BGH (BGH v. 6.3.2012 – VI ZR 167/11 – r+s 2012, 461) ausdrücklich anerkannt, weil sich der Schaden noch in der Entwicklung befindet.
Im Falle der erheblichen Beschädigung eines Neufahrzeugs kann der Geschädigte Klage auf Feststellung erheben, dass der Haftpflichtversicherer nach Erwerb eines äquivalenten Neufahrzeugs zur Erstattung der Kosten für die Anschaffung eines Neufahrzeugs verpflichtet ist (OLG Stuttgart NZV 2018, 286).
3. Ausschließliche Feststellungsklage zum Haftungsgrund
Rz. 96
Der BGH hat in der vorgenannten Entscheidung (BGH v. 6.3.2012 – VI ZR 167/11 – r+s 2012, 461) auch noch einmal ausdrücklich auf die ständige Rechtsprechung des BGH (BGH NZV 2017, 226; NZV 2016, 365; NJW-RR 2008, 1520; VersR 2003, 1256; VersR 1999, 1555; VersR 1991, 788) hingewiesen, wonach der Geschädigte bei einem noch in der Entwicklung befindlichen Schaden nicht gehalten ist, seine Klage in eine Leistungs- und eine Feststellungsklage aufzuspalten. Daher ist in geeigneten Fällen in Betracht zu ziehen, vorab eine "reine" Feststellungsklage zur Klärung der Haftung dem Grunde nach zu erheben, z.B. mit folgendem Klageantrag:
Formulierungsbeispiel
"Die Beklagten sind als Gesamtschuldner verpflichtet, dem Kläger sämtliche gegenwärtigen und zukünftigen materiellen (ggf. und immateriellen) Schäden aus dem Verkehrsunfall vom … zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind".
Rz. 97
Dies kann sich taktisch insbesondere in den Fällen anbieten, in denen der gegnerische Haftpflichtversicherer trotz eindeutiger Haftungslage – seinerseits aus taktischen Gründen – nicht bereit ist, in angemessener Zeit eine verbindliche Erklärung zur Haftung dem Grunde nach (Bestätigung der vollen Einstandspflicht) abzugeben. Häufig möchte sich nämlich der Haftpflichtversicherer gerne einen Mithaftungseinwand – sei es aufgrund Mitverschuldens oder auch lediglich der Betriebsgefahr – vorbehalten, um die angeblich ungeklärte Haftung als Argument für eine vergleichsweise Einigung bei der Regulierung der Höhe nach zu verwenden. Will man dem gegnerischen Haftpflichtversicherer exakt diese (rein taktische) Argumentationsmöglichkeit nehmen, sollte frühestmöglich eine entsprechende Feststellungsklage zum Haftungsgrund erhoben werden.
Rz. 98
Deren Zulässigkeit ergibt sich – auch hinsichtlich der bereits eingetretenen und damit grundsätzlich bezifferbaren Schäden – in zweierlei Hinsicht:
Zum einen aufgrund der bereits genannten Rechtsprechung (Rdn 96) dann, wenn der Schaden sich noch in der Entwicklung befindet. Dies kann sich im Bereich des Sachschadens daraus ergeben, dass durch eine noch nicht erfolgte Reparatur oder Wiederbeschaffung hinsichtlich des Fahrzeugs weitere Schäden entstehen (Nutzungsausfall, Mehrwertsteuerbeträge, Ummeldekosten etc.). Doch auch im Bereich des Personenschadens bei geringeren Verletzungen ist dies stets der Fall, wenn die unfallbedingten Beschwerden und die daraus resultierenden Behandlungen noch nicht vollständig abgeschlossen sind.
Rz. 99
Die Entstehung noch künftiger unfallbedingter Schäden kann sich auch schlicht daraus ergeben, dass der Geschädigte beabsichtigt, erst nach einer verbindlichen Klärung der Haftungsfrage weitere Schadenermittlungsaufwendungen zu tätigen, die zur vollständigen Bezifferung des Schadens erforderlich sind, so zum Beispiel beim Personenschaden die Einholung ärztlicher Atteste oder Gutachten, beim Fahrzeugschaden typischerweise die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Auch in diesen Fällen ist die umfassende (alleinige) Feststellungsklage hinsichtlich sämtlicher – das heißt auch gegenwärtiger – Schäden zulässig, weil sich der Schaden (in diesem Fall hinsichtlich der künftigen Schadensermittlungskosten) noch in der Entwicklung befindet.
Rz. 100
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