Rz. 108
Immer häufiger wird in letzter Zeit von Haftpflichtversicherern der Einwand eines angeblich gestellten Unfalls erhoben.
1. Interessenwiderstreit beim Klagevortrag
Rz. 109
Für den betroffenen Kraftfahrthaftpflichtversicherer stellt sich dabei das Problem, wie er die Behauptung eines gestellten Unfalls in einen Prozess einführen kann, in dem er selbst – neben seinem an dem Unfall und der Manipulation mitbeteiligten VN – in Anspruch genommen wird. Das Dilemma ist, dass er die Klageabweisung mit dem – bis dahin noch gar nicht bewiesenen – manipulativen Fehlverhalten seines eigenen VN begründen müsste, obwohl er diesem zugleich Versicherungsschutz zu gewähren hat.
Rz. 110
Auch der Anwalt, der im Auftrage des Versicherers einen solchen Prozess führen muss, steht von Anfang an in einem unauflösbaren Interessenwiderstreit, da er auch den versicherten Fahrer und ggf. Halter mitzuvertreten hat.
Beachte
Stellt sich ein solcher Interessenkonflikt erst im Laufe des Mandats heraus, ist der Anwalt gem. § 3 Abs. 4 BORA verpflichtet, beide Mandate niederzulegen!
2. Lösungswege
Rz. 111
Die einzige vertretbare Lösung dürfte nach wie vor die Trennung der Mandate hinsichtlich der verklagten Parteien sein.
Rz. 112
Der Versicherer muss dazu seinem VN und/oder Fahrer den Versicherungsschutz mit der Behauptung vorsätzlichen Verhaltens versagen. VN und/oder Fahrer müssen sich dann einen eigenen Anwalt suchen, für dessen Gebühren allerdings der Kfz-Haftpflichtversicherer solange eintrittspflichtig bleibt, bis die Versagung des Versicherungsschutzes bestandskräftig wird. Denn hat der Kfz-Haftpflichtversicherer im Verkehrsunfallprozess den Vorwurf der Unfallmanipulation erhoben, so muss er den Fahrer im Rahmen seiner Rechtsschutzverpflichtung von den Kosten für die Vertretung durch einen eigenen Rechtsanwalt freihalten, obwohl er ihm als Streithelfer beigetreten ist und sein Prozessbevollmächtigter auf diesem Wege für beide Klageabweisung beantragt hat (BGH VersR 2010, 1590 = zfs 2010, 628; BGH v. 29.11.2011 – VI ZR 201/10 – zfs 2012, 325). Dem Fahrer ist für die Rechtsverteidigung durch einen eigenen Rechtsanwalt in einem solchen Fall auch Prozesskostenhilfe zu gewähren (BGH VersR 2010, 1472 = zfs 2010, 569).
a) Nebenintervention
Rz. 113
Es ist inzwischen anerkannt, dass der Kraftfahrthaftpflichtversicherer in einem solchen Fall dem verklagten Schädiger als Nebenintervenient beitreten kann, um sodann durch vom angeblichen Schädiger abweichenden Sachvortrag einen gestellten Unfall zu behaupten und für den angeblichen Schädiger Klageabweisung zu beantragen (BGH v. 29.11.2011 – VI ZR 201/10 – zfs 2012, 325; OLG Frankfurt zfs 1994, 43; OLG Hamm zfs 1996, 287 für die Allgemeine Haftpflichtversicherung; Freyberger, VersR 1991, 842).
b) Aussageverweigerungsrecht
Rz. 114
Problematisch dürfte darüber hinaus sein, ob der Schädiger in derartigen Fällen ein Aussageverweigerungsrecht hat, da er einerseits gegenüber dem Gericht verpflichtet ist, die Wahrheit zu sagen (also das Unfallgeschehen einzuräumen), auf der anderen Seite nach § 7 II Abs. 5 AKB bzw. E.2.4 AKB 2008 dem Haftpflichtversicherer gegenüber vertraglich verpflichtet ist, diesem das prozessuale Vorgehen im Falle einer Klage zu überlassen.
c) Beweislast
Rz. 115
Bei einem gestellten Unfall muss der Kläger beweisen, dass eine Rechtsgutsverletzung vorliegt. Dagegen muss der den gestellten Unfall einwendende KH-Versicherer beweisen, dass der Geschädigte (freiwillig) damit einverstanden war (Einwilligung als Rechtfertigungsgrund).
Rz. 116
Zu den Indizien für einen manipulierten Unfall wurde das so genannte Berliner Modell entwickelt, das inzwischen weitgehend in die Rechtsprechung Eingang gefunden hat (vgl. zu den Einzelheiten Böhme/Biela/Tomson, Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden, 26. Auflage 2018, Rn A94 f. sowie Berz/Burmann-Schneider, Kap. 5 D "Der manipulierte Unfall").
Jüngst klargestellt hat der BGH (v. 1.10.2019 – VI ZR 164/18 – zfs 2020, 195 = r+s 2020, 47), dass auch für das vom Versicherer zu beweisende Einverständnis des Geschädigten mit der Schädigung das Beweismaß des Vollbeweises gem. § 286 ZPO gilt, womit zwar keine mathematisch lückenlose Gewissheit zu verlangen ist, jedoch eine volle Überzeugung des Tatrichters aufgrund einer lebensnahen Würdigung einer Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation, sodass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Unfallmanipulation (§ 287 ZPO) gerade nicht ausreicht.