Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 100
Die hohe Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer und die Zunahme des grenzüberschreitenden Straßenverkehrs führen zunehmend zu Verkehrsunfällen, bei denen die haftungsrechtliche Beurteilung davon abhängig ist, welche Rechtsordnung (deutsches oder ausländisches Recht) heranzuziehen ist.
Rz. 101
Nach dem Internationalen Privatrecht (IPR) gilt das Tatortprinzip, nach dem für Schadensersatzansprüche bei zivilrechtlichen deliktischen Ansprüchen aus unerlaubter Handlung, aber auch bei der quasideliktischen Gefährdungshaftung in erster Linie an das materielle Recht des Tatorts anzuknüpfen ist. Für die haftungsrechtliche Beurteilung sind die am Tatort geltenden verkehrsrechtlichen Vorschriften maßgebend, denn sie bestimmen in der jeweiligen Verkehrssituation die zur Vermeidung von Schäden und Gefahren notwendigen Maßnahmen. Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen mit Auslandsberührung sind daher nach dem der Vorschrift des Art. 38 EGBGB zugrunde liegenden Prinzip grundsätzlich nach dem Recht des Tatorts zu beurteilen.
Rz. 102
Bei bestimmten Fallgruppen tritt das Tatortrecht zugunsten einer anderen Rechtsordnung zurück, wenn die Anknüpfung an den Tatort als eher zufällig erscheint, weil aufgrund besonderer Umstände die rechtlichen Beziehungen der an der Tat Beteiligten einer anderen Rechtsordnung sachgerechter zuzuordnen sind.
Rz. 103
Dabei kommt namentlich dem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Beteiligten als ihrem Lebensmittelpunkt "ein hoher Stellenwert" zu. In seiner älteren Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt nicht für stark genug gehalten, um das Tatortprinzip auch dann zu durchbrechen, wenn die Staatsangehörigkeit zumindest eines Beteiligten auf das am Tatort geltende Recht verweist. Daran hält der Bundesgerichtshof in seiner neueren Rechtsprechung jedenfalls für Verkehrsunfälle mit im Aufenthaltsland zugelassenen und versicherten Kraftfahrzeugen nicht mehr fest, weil "für die Entschädigungswürdigkeit der Unfallfolgen, für Umfang, Art und Höhe des Schadensersatzes der (Standard) von Entwicklungen und Gewohnheiten in ihrer gemeinsamen Rechtsumwelt nicht außer Betracht bleiben kann". Für den Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer ist die Rechtsordnung maßgebend, die auf das Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem anzuwenden ist.
Rz. 104
Unfälle im Ausland sind mit dem ausländischen Schädiger bzw. seinem Haftpflichtversicherer abzuwickeln. Hat der Deutsche den Verkehrsunfall im Ausland verursacht, so bereitet die Abwicklung mit dem deutschen Haftpflichtversicherer, der europaweit Versicherungsschutz gewährt, keine Schwierigkeiten. Ereignet sich der Unfall mit Ausländerbeteiligung im Inland, steht in fast allen Fällen der Verein Deutsches Büro Grüne Karte e.V. (DBGK) (Rn 91 ff.) zur Verfügung, der passiv legitimiert ist, den Schaden für den ausländischen Versicherer zu regulieren.