Rz. 2

Zweifellos kann eine sachgerechte Vertretung nur über die vollständige Erfassung des Sachverhaltes erfolgen: Dies bedeutet unabhängig vom Verfahren und Verfahrensstand ist grundsätzlich Akteneinsicht zu beantragen: Dies gilt für Straf- und Bußgeldverfahren gleichsam wie für die verwaltungsverfahrensrechtlichen Verfahren.

 

Hinweis

In verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten, besonders wenn es um die Entziehung der Fahrerlaubnis geht, ist ohne die Einsicht in die Behördenakte gar nicht zu ersehen, auf welcher Grundlage die Verwaltungsbehörde gehandelt hat: Ohne die Akte kann beispielsweise nicht nachvollzogen werden, ob und wann die Kenntnisnahme erfolgt ist; ob ggf. getilgte Eintragungen noch in der Verwaltungsakte befindlich sind und damit Eingang in die Entscheidung gefunden haben. Ohne die Historie aber zu kennen, kann teilweise gar nicht nachvollzogen werden, wie die Punkte berechnet worden sind.[1] Es ist nämlich denkbar, dass der Eintrag im FaER bereits gelöscht, in der Fahrerlaubnisbehördenakte aber noch enthalten ist.

[1] Ebenso Kalus, Konkrete Problemstellungen und Unklarheiten, VD 2015, 211, 213.

I. Akteneinsicht

 

Rz. 3

Es dürfte sich eigentlich von selbst verstehen, dass der Rechtsanwalt nicht blind bzw. taub den Worten seines Mandanten folgt, sondern sich erst einen Eindruck des Sachverhaltes über die Akteneinsicht verschafft.[2] Dennoch ist schon frühzeitig zu überlegen und bei dem Mandanten abzufragen, ob und gegebenenfalls welche weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen könnten. Dies ist dann rechtzeitig zu sichern. In §147 StPO ist daher vorgeschrieben:

Zitat

(1) Der Verteidiger ist befugt, die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der Anklage vorzulegen wären, einzusehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen. (…)

(4) Auf Antrag sollen dem Verteidiger, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, die Akten mit Ausnahme der Beweisstücke zur Einsichtnahme in seine Geschäftsräume oder in seine Wohnung mitgegeben werden. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

 

Rz. 4

Zur Vorbereitung sollte der Mandant unmittelbar nach der Übertragung des Mandats seinen Punktestand selbstständig abfragen[3] und das Ergebnis dem Rechtsanwalt mitteilen.

Alternativ kann das natürlich auch als Serviceleistung – und dann später entsprechend bei der Ausübung des Ermessens nach §14 RVG eingestellt werden – des Rechtsanwalts erfolgen.

Muster 5.1: Abfrage des Punktestands im Verkehrszentralregister

 

Muster 5.1: Abfrage des Punktestands im Verkehrszentralregister

Auszug aus dem Verkehrszentralregister für: _________________________

geboren am: _________________________ in: _________________________

wohnhaft in: _________________________

Sehr geehrte Damen und Herren,

für unsere Mandantschaft erbitten wir den aktuellen Auszug aus dem Verkehrszentralregister über evtl. vorliegende Eintragungen. Gegebenenfalls entstehende Kosten werden diesseitig übernommen.

Mit freundlichen Grüßen

_________________________

(Rechtsanwalt)

Anlage: Vollmacht

[2] Umfassend Cierniak, Akteneinsicht und Offenlegungsrechte im Bußgeldverfahren, DAR 2014, 2 ff.
[3] Kann über das Internet problemlos unter www.kba.de erfolgen (siehe auch § 2 Rdn 39-).

II. Recht auf ein faires Verfahren und Achtung der Verteidigungsrechte

 

Rz. 5

Noch recht unbekannt, aber nichtsdestoweniger in Kraft durch das am 2.7.2013 verabschiedete Gesetz zur Sicherung zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren vom 2.7.2013,[4] und eine klare Hilfe, ist die Richtlinie 2012/13/EU vom 22.5.2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren[5] (Einleitung Abs. 28), die das Recht auf die Unterrichtung von Verdächtigen oder beschuldigten Personen über die strafbare Handlung, derer sie verdächtigt oder beschuldigt werden, statuiert.[6] Sie sollte umgehend erfolgen und spätestens vor der ersten offiziellen Vernehmung durch die Polizei oder eine andere zuständige Behörde und ohne Gefährdung der laufenden Ermittlungen stattgefunden haben.

 

Rz. 6

Eine Beschreibung der Umstände der strafbaren Handlung, derer die Person verdächtigt oder beschuldigt wird, einschließlich, sofern bekannt, der Zeit und des Ortes sowie der möglichen rechtlichen Beurteilung der mutmaßlichen Straftat sollte – je nach Stadium des Strafverfahrens, in der sie gegeben wird – hinreichend detailliert gegeben werden, so dass ein faires Verfahren gewährleistet und eine wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte ermöglicht wird. Die maßgeblichen Artikel sind Art. 6 und 7.

 

Rz. 7

Zu den hierbei eher unbekannten Vorschriften gehört auch Nr. 45 RiStBV, deren Nichtbefolgung im Rahmen einer Rüge schon in der ersten oder auch Tatsacheninstanz über einen Widerspruch geltend gemacht werden muss.

In einer Entscheidung des BGH heißt es unmissverständlich:[7]

Zitat

"Mängel der polizeilichen Belehrung können, wie auch hier, das Verfahren erheblich belasten, im Einzelfall sogar den Bestand eines Urteils gefährden. Es gehört auch zu den Aufgaben der Staatsanwaltschaft, im Rahmen ihrer Verantwortung für die Gesetzmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens, auch soweit es von d...

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