I. Die Einflussnahme des einseitig widerrufenden Ehegatten auf die Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen des anderen Ehegatten
Rz. 13
Die Wechselbezüglichkeit eines gemeinschaftlichen Testaments (§ 2270 BGB) oder eines Erbvertrags (§ 2298 BGB) führt dazu, dass ein Erblasser mit seinen rechtsgeschäftlichen Erklärungen nicht nur Einfluss auf seine eigenen Verfügungen von Todes wegen nehmen kann, sondern auch auf diejenigen des anderen Testators, und zwar ohne dessen Zutun. Die innere inhaltliche Abhängigkeit der Verfügungen voneinander ermöglicht diese nicht auf den ersten Blick ersichtliche Rechtsfolge.
Ein gemeinschaftliches Testament können die beiden Ehegatten jederzeit durch gemeinschaftliches Testament aufheben, und zwar nach den allgemeinen Widerrufsformen der §§ 2253 ff. BGB. Die einseitige Aufhebung der wechselbezüglichen Verfügung eines Ehegatten durch eine neue Verfügung von Todes wegen ist durch § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB ausdrücklich ausgeschlossen. Diese Vorschrift ist unabdingbar.
Rz. 14
Eine wechselbezügliche Anordnung kann von jedem der Testatoren zu Lebzeiten beider jederzeit gem. § 2271 Abs. 1 BGB ohne Begründung widerrufen werden. In der Praxis geschieht dies am häufigsten nach der Trennung der Ehegatten. Die Wechselbezüglichkeit einer testamentarischen Anordnung in einem Ehegattentestament führt zu einer einzigartigen Besonderheit, wenn einer der beiden Testatoren seine eigene Verfügung einseitig widerruft: Die korrespondierende testamentarische Anordnung des anderen Testatoren wird unwirksam, obwohl er selbst nicht widerrufen hat und auch sonst insoweit nicht aktiv geworden ist, vgl. den Wortlaut des § 2270 Abs. 1 BGB ("… so hat … der Widerruf der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge.").
Rz. 15
Diese Besonderheit ist der Grund dafür, dass für den Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung strenge Formalien einzuhalten sind, vgl. nachfolgend Rdn 19. Ausblick auf den wechselbezüglichen Erbvertrag: Entsprechendes gilt auch dort gem. § 2298 Abs. 2 S. 1 BGB beim Rücktritt seitens eines Erblasser-Vertragspartners.
Für den Fall, dass nur ein Ehegatte bzw. Lebenspartner seine Verfügungen, die mit denen des anderen wechselbezüglich sind, widerrufen will, ist zu unterscheiden, ob beide Ehegatten noch leben oder ob einer schon gestorben ist, § 2271 BGB.
II. Der einseitige Widerruf eines wechselbezüglichen Testaments bei Testierunfähigkeit des widerrufenden Testators
1. Erforderliche Testierfähigkeit
Rz. 16
Ein testierunfähiger Ehegatte kann ein Testament und darin enthaltene wechselbezügliche Verfügungen nicht persönlich widerrufen.
2. Anfechtbarkeit einer testamentarischen Anordnung
Rz. 17
Soweit jedoch Gründe bestehen, die den testierunfähigen Ehegatten grundsätzlich zur Anfechtung berechtigen würden, wenn er einen Erbvertrag geschlossen hätte, kann nach teilweise vertretener Literaturmeinung sein Betreuer analog § 2282 Abs. 2 BGB unter Einhaltung der Jahresfrist des § 2283 Abs. 1 BGB mit Genehmigung des Betreuungsgerichts seine eigenen wechselbezüglichen Verfügungen anfechten. Die Anfechtung führt gem. § 142 BGB zur Nichtigkeit der angefochtenen Anordnung mit der Konsequenz, dass gem. § 2270 Abs. 1 BGB wiederum die korrespondierende Anordnung des anderen Testators unwirksam wird. Wegen § 1903 Abs. 2 BGB sollten bei den geringsten Zweifeln an der fehlenden Testierfähigkeit des widerrufswilligen Ehegatten dieser persönlich den Widerruf und der Betreuer die Anfechtung erklären. Da die Rechtslage zur Anfechtung durch den Betreuer, der für einen Testierunfähigen bestellt ist, indes noch nicht gesichert ist, wird der Notar einen entsprechenden Belehrungsvermerk in die Urkunde aufnehmen.
Rz. 18
Sofern beide Ehegatten testierunfähig bzw. geschäftsunfähig sind, kann ein Betreuer unter den vorgenannten Voraussetzungen anfechten; die Anfechtung ist dem Betreuer des anderen Ehegatten in Ausfertigung zu übermitteln. Die Betreuer dürfen nicht identisch sein.
III. Formalien des einseitigen Widerrufs
Rz. 19
Für den einseitigen Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung ist die Form des Rücktritts vom Erbvertrag vorgesehen, §§ 2271 Abs. 1 S. 1, 2296 BGB.
Die Widerrufserklärung bedarf der notariellen Beurkundung und muss in Urschrift oder Ausfertigung dem anderen Ehegatten zugehen (Praxis: zugestellt werden). Dies gilt auch für das privatschriftliche gemeinschaftliche Testament. Das privatschriftliche Testament ist rechtsqualitativ mit dem notariell beurkundeten Testament gleichwertig, beides sind ordentliche Testamentsformen, § 2231 BGB.
Die Übermittlung einer beglaubigten Abschrift reicht nicht aus! Nur die Ausfertigung ersetzt im Rechtsverkehr die Urschrift nach § 47 BeurkG.
Rz. 20
Eine förmliche Zustellung ist gesetzlich nicht vorgesehen, sie ist jedoch empfehlenswert und wird in der Praxis in aller Regel auch vorgenommen, um erforderlichenfalls bei Verweigerung der Annahme einer Postsendung gem. § 132 BGB den Zugang zu fingieren. Es soll gewährleistet sein, dass der andere Ehegatte bzw. Lebenspartner von der Widerrufserklärung Kenntnis erlangt und sein Verhalten darauf einrichten kann. Denn: Seine eigene Verfügung wird unwirksam, obwohl er gar nicht widerrufen hat; dies ist die in § 2270 Abs. 1 BGB a...