1. Begriff

 

Rz. 3

Unter Wechselbezüglichkeit, die in § 2270 Abs. 1 BGB definiert wird, versteht man die gegenseitige innere Abhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen aus dem Zusammenhang des Motivs und wenn "eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen soll."[1]

 

Beispiel

Ehegatten setzen sich gegenseitig zu Alleinerben ein. Der eine würde den anderen nicht zum Erben einsetzen, wenn nicht auch der andere ihn zum Erben einsetzen würde. Die eine Erbeinsetzung soll von der anderen abhängig sein.

 

Rz. 4

Die drei Aussagen des § 2270 Abs. 1 BGB:

(1) Definition der Wechselbezüglichkeit
(2)

Rechtsfolgen bei Nichtigkeit einer Verfügung

→ Unwirksamkeit der anderen

(3)

Rechtsfolgen bei Widerruf einer Verfügung

→ Unwirksamkeit der anderen.

 

Rz. 5

Nicht: Unwirksamkeit aller Verfügungen, sondern nur der korrespondierenden. Deshalb ist entscheidend, welche Verfügungen zueinander wechselbezüglich sind. Allerdings kann – entgegen der Auslegungsregel des § 2085 BGB – die Unwirksamkeit einer wechselbezüglichen Verfügung trotzdem zur Unwirksamkeit anderer, nicht wechselbezüglicher Verfügungen führen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die individuelle Auslegung des Testaments, deren Ergebnis Vorrang hat vor der gesetzlichen Auslegungsregel des § 2085 BGB.

Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung zur Wechselbezüglichkeit, so muss diese für jede einzelne Verfügung gesondert geprüft werden.[2] Die Feststellung der Wechselbezüglichkeit ist nicht möglich, ohne konkret zu bestimmen, welche Verfügung des einen Ehegatten mit welcher Verfügung des anderen korrespondiert.[3]

 

Rz. 6

Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen dann wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlichen Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll.[4] Maßgeblich ist der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung.[5]

Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung zur Wechselbezüglichkeit, muss diese nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und für jede Verfügung gesondert ermittelt werden.[6]

[1] RGZ 116, 149; OLG München ZErb 2008, 235, 237; BayObLG FamRZ 2005, 1931; OLG Hamm FamRZ 2004, 662; KG NJW 1972, 2134; FamRZ 1977, 485.
[2] BGH NJW-RR 1987, 1410; OLG München ZErb 2008, 235, 237; OLG Karlsruhe FGPrax 2007, 87 = NJOZ 2007, 1351 = ZErb 2007, 189; BayObLGZ 2002, 66, 69.
[3] OLG München, Urt. v. 10.12.2008 – 20 U 2303/08, ErbR 2009, 259 = ZFE 2009, 280; BayObLG NJW-RR 1999, 878.
[4] OLG Hamm FamRZ 2004, 662 = FGPrax 2003, 402.
[5] BGHZ 112, 229, 233.
[6] BGH NJW-RR 1987, 1410; BayObLG FGPrax 2005, 164.

2. Die gesetzliche Beschränkung der Wechselbezüglichkeit

 

Rz. 7

Die Wechselbezüglichkeit kann gem. § 2270 Abs. 3 BGB nur angeordnet werden für

Erbeinsetzung
Vermächtnisse
Auflagen und
erbrechtliche Rechtswahl.
 

Rz. 8

Das Entsprechende bezüglich der Zulässigkeit vertragsmäßiger Anordnungen gilt im Übrigen für den Erbvertrag gem. § 2278 Abs. 2 BGB in gleicher Weise. Beim Erbvertrag wird das im Grundsatz bestehende Verbot der Bindung von Todes wegen nach § 2302 BGB im Sinne der Verbotsnorm des § 134 BGB sehr deutlich. Andere Verfügungen – beispielsweise Teilungsanordnung, Testamentsvollstreckungsanordnung – können nicht wechselbezüglich sein; die Anordnung der Wechselbezüglichkeit für eine der letztgenannten Anordnungen wäre ein Verstoß gegen § 134 BGB und deshalb insoweit nichtig, könnte aber wohl gem. § 2084 BGB als einseitige Anordnung aufrechterhalten werden. Bei der Erbeinsetzung ist zu beachten, dass nur das Positivum der Erbeinsetzung wechselbezüglich sein kann, nicht aber das Negativum der Enterbung. Es unterliegt dem – erforderlichenfalls durch Auslegung zu ermittelnden – Willen der Erblasser, ob und in welchem Umfang jede einzelne Verfügung wechselbezüglich sein soll.[7] Dieser "Verknüpfungswillen" der Ehegatten muss feststellbar sein.[8]

Der rechtsdogmatische Hintergrund dieser beschränkten Testierfreiheit: Wechselbezüglichkeit mit eintretender Bindung für den Überlebenden (§ 2271 Abs. 2 BGB) ist die Ausnahme vom Verbot der Bindung von Todes wegen nach § 2302 BGB.[9]

[7] BGHZ 30, 261, 265; BGHZ 2,35, 37; OLG Saarbrücken NJOZ 2005, 3877; OLG Koblenz OLGR Koblenz 2007, 282 = ZErb 2007, 154.
[8] OLG Koblenz OLGR Koblenz 2007, 282 = ZErb 2007, 154 = FamRZ 2007, 1917 = RNotZ 2007, 547 = NJW-RR 2007, 1599.
[9] Obwohl in § 2302 BGB von "Vertrag" die Rede ist, gilt dies auch für das gemeinschaftliche Testament: OLG Stuttgart NJW 1989, 2700 = BWNotZ 1989, 164.

3. Die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB

 

Rz. 9

§ 2270 Abs. 2 BGB enthält eine Auslegungsregel, die allerdings nur dann Anwendung findet, wenn die Auslegung keine Klarheit über den Verknüpfungswillen gebracht hat. Es sind Anordnungen, mit denen sich die Erblasser gegenseitig als Erben oder Vermächtnisnehmer eingesetzt haben oder ein ...

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