Dr. Christopher Riedel, Prof. Dr. Carmen Griesel
Rz. 430
§ 35b EStG vermeidet eine Doppelbelastung mit Erbschaft- und Schenkungsteuer dadurch, dass eine anteilige Kürzung der Einkommensteuerbelastung erfolgt. Latente Einkommensteuerlasten sind daher nach wie vor bei der Erbschaftsteuer nicht abzugsfähig. Bei der Erbschaftsteuer gilt das Stichtagsprinzip; künftige Belastungen bleiben bei der Bemessung der Erbschaftsteuer außer Betracht.
Rz. 431
Beispiel
Der verstorbene Unternehmer, der in seinem Einzelunternehmen den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, muss seine betrieblichen Einkünfte erst mit Zufluss versteuern. Zahlt der Kunde noch zu seinen Lebzeiten, versteuert er die Gewinne im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung; die auf diesem Gewinn lastende Einkommensteuerschuld ist als Nachlassverbindlichkeit bei der Erbschaftsteuerermittlung in Abzug zu bringen. Eine Doppelbelastung mit Erbschaft- und Einkommensteuer scheidet deshalb aus. Zahlt der Kunde jedoch erst nach dem Tod des Unternehmers, erzielt sein Erbe den Zufluss und muss daher den Gewinn im Rahmen seiner eigenen Einkommensteuer erklären. Zugleich erwirbt der Erbe mit dem Tod des Erblassers die offene Forderung und muss diese als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterwerfen. Die erst in der Person des Erben entstehende künftige Einkommensteuer kann dabei nicht in Abzug gebracht werden. Dadurch wird letztlich die offene Forderung aus Sicht des Erben doppelt besteuert: Zum einen mit Erbschaftsteuer, da die künftig nach dem Tod des Erblassers entstehende Einkommensteuerbelastung nicht als Verbindlichkeit abgezogen werden kann, und zum anderen mit Einkommensteuer, wenn der Erbe den Zufluss erhält.
Rz. 432
Ab dem Veranlagungszeitraum 2009 erlaubt § 35b EStG für Erbfälle, die nach dem 31.12.2008 eingetreten sind, eine Abmilderung durch eine prozentuale Kürzung der Einkommensteuer, wenn bei der Ermittlung des Einkommens Einkünfte berücksichtigt worden sind, die im Veranlagungszeitraum oder in den vier vorangegangenen Veranlagungszeiträumen als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben. Diese Einkünfte werden um den nach § 35b S. 2 EStG zu ermittelnden Prozentsatz gekürzt. Der Prozentsatz bestimmt sich nach dem Verhältnis, in dem die festgesetzte Erbschaftsteuer zu dem Betrag steht, der sich hergibt, wenn dem steuerpflichtigen Erwerb die Freibeträge nach den §§ 16, 17 ErbStG und der steuerfreie Betrag nach § 5 ErbStG hinzugerechnet werden. Dadurch soll im Ergebnis – wenn auch nicht folgerichtig umgesetzt – erreicht werden, dass sich die Einkommensteuer um den Betrag vermindert, um den sich die Erbschaftsteuer vermindert hätte, wenn die latente Einkommensteuerbelastung abzugsfähig gewesen wäre. Dies lässt sich am besten anhand eines Beispiels verdeutlichen:
Rz. 433
Beispiel
Unternehmer U ist Inhaber eines Einzelunternehmens, das kein begünstigtes Betriebsvermögen darstellt. Bei der unentgeltlichen Übertragung auf seinen Sohn hat das Unternehmen einen Wert von 1 Mio. EUR. Der Sohn veräußert das Unternehmen drei Monate nach Erhalt mit einem Gewinn von 100.000 EUR; die tarifliche Einkommensteuer auf den Gewinn beläuft sich auf 42.000 EUR. Nach Abzug des Freibetrages von 400.000 EUR verbleibt eine steuerliche Bemessungsgrundlage von 600.000 EUR. Die Erbschaftsteuer darauf beträgt 90.000 EUR (Steuerklasse I, 15 %). Der Prozentsatz der Kürzung ermittelt sich für die Einkommensteuer wie folgt: 90.000 EUR ./. 1.000.000 EUR (600.000 EUR zzgl. 400.000 EUR Freibetrag) X 100 = 9 %. Die Einkommensteuer vermindert sich damit um 3.780 EUR (9 % von 42.000 EUR) auf 38.220 EUR.
Hinweis
Diese Kürzungsmöglichkeit besteht für Einkünfte aus Kapitalvermögen, die der Abgeltungsteuer unterliegen nicht. Denn diese Einkünfte unterliegen einem einheitlichen Sondersteuersatz und gehen nicht in das zu versteuernde Einkommen ein, auf das § 35b EStG abstellt. Werden daher bei ererbten Wertpapieren bei der Veräußerung durch den Erben Stückzinsen vereinnahmt, muss der Erbe diese in vollem Umfang versteuern, auch wenn anteilige noch nicht realisierte Stückzinsen den Wert des Depots im Todeszeitpunkt und damit die Erbschaftsteuerbelastung erhöht haben. Etwas anderes gilt aber, wenn die Kapitaleinkünfte dem Einkommensteuertarif unterliegen, wie dies z.B. bei der sog. Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG der Fall ist.
Rz. 434
Die Kürzung der Einkommensteuer nach § 35b EStG scheidet aus, wenn die Erbschaftsteuer als Sonderausgaben bei der Einkommensteuer nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in Abzug gebracht wurde, so der Verweis in § 35b S. 3 EStG. Mit Urt. v. 18.1.2011 hat der BFH für die Veranlagungszeiträume ab 1999 (nach Abschaffung des § 35 EStG a.F.) einen Sonderausgabenabzug der Jahressteuer i.S.v. § 23 ErbStG nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG als dauernde Last verneint. Die Erbschaftsteuer als nichtabzugsfähige Personensteuer i.S.v. § 12 Nr. 3 EStG wird durch die von einer Sofortbesteuerung abweichende Zahlungsweise nicht einkommensteuerlich berücksichtigungsfähig. Ab Veranlagungszeiträumen 2009 komm...