Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 18
Unter Anwendbarkeit der Rechtslage der ErbVO kommt solchen Strategien zur Minimierung des Pflichtteils keine Bedeutung mehr zu, denn es gibt keine den Artt. 3a Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB entsprechende Vorschrift in der ErbVO. Vielmehr gilt nach der ErbVO Folgendes: Eine Sonderregel, die das Recht des Lageortes des Vermögens aufstellt, kann die allgemeine Anknüpfung nur durchbrechen, wenn die Sonderregel gerade nicht dem IPR zu entnehmen ist (sondern dem Sachrecht). Es kommt also nach zukünftiger Rechtslage insbesondere nicht mehr darauf an, ob das maßgebliche Recht am Lageort eine Sonderanknüpfung für die Rechtsnachfolge in Immobilien in seinem IPR vorsieht. Auch wenn das der Fall ist, setzt sich die IPR-Sonderanknüpfung nicht gegenüber der Anknüpfung nach der ErbVO durch (vgl. Art. 30 ErbVO, letzter Halbsatz – … soweit sie … unabhängig von dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht anzuwenden sind). Das (deutsche) Ausführungsgesetz zur Erb VO setzt diese Vorgaben konsequent um. Gemäß Art. 15 dieses Gesetzes werden in Art. 3 a Abs. 2 EGBGB n.F. die Wörter "und Vierten" gestrichen, d.h. es geht in diesem Zusammenhang nur noch um Verweisungen des 3. Abschnitts (Familienrecht), nicht mehr um solche des Erbrechts (4. Abschnitt). Erbrechtliche Sonderregelungen des IPR des Lageorts setzen sich also nicht durch, sondern nur solche des Sachrechts.
Rz. 19
Eine entsprechende "Flucht in Immobilien" in common law Staaten scheidet deshalb als Strategie zur Vermeidung des Pflichtteilsrechts zukünftig aus (bzw. eine bereits vorgenommene Verlagerung des Vermögens wirkt sich nicht mehr aus).
Ein deutscher Erblasser mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland wird deshalb auch hinsichtlich solcher Immobilien zukünftig ausschließlich nach deutschem Recht beerbt, und es gilt ausschließlich deutsches Pflichtteilsrecht. Auch eine Rechtswahl ändert daran nichts, denn auch diese kann nur zum deutschen Recht führen (nur das Heimatrecht kann gewählt werden, vgl. Art. 22 ErbVO).
Rz. 20
Wenn der deutsche Erblasser die "Pflichtteilsfreundlichkeit" eines anderen Rechts ausnutzen möchte, bleibt ihm nur die Möglichkeit, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesen Staat zu verlegen, denn nur dann wird er gem. Art. 21 ErbVO nach diesem Recht beerbt, wobei es in diesem Fall nicht darauf ankommt, ob dieser Stadt ein Mitgliedstaat ist (vgl. Art. 20 ErbVO, denn die Anknüpfungen der ErbVO gelten auch im Hinblick auf das Recht von Drittstaaten).
Rz. 21
Wenn der deutsche Erblasser seinen Aufenthalt aus Deutschland in einen anderen Staat verlegt, kann es auch zum umgekehrten Phänomen kommen, dass nämlich – nach dem anwendbaren Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts – nunmehr höhere Pflichtteilsquoten zu berücksichtigen sind als das deutsche Recht sie vorsieht. Allerdings kann hier leicht Abhilfe geschaffen werden, der Erblasser kann durch Wahl seines deutschen Heimatrechts vorbeugen.
Eine Wahl des deutschen Heimatrechts in diesem Zusammenhang kann sich auch empfehlen, wenn es nicht um die Höhe der Pflichtteilsquote geht, sondern z.B. darum, dass das fremde Recht das Pflichtteilsrecht als dingliches Noterbrecht ausgestaltet hat und nicht als Geldanspruch.
Rz. 22
Die Anwendbarkeit der ErbVO gewährt also nicht nur neue Möglichkeiten (wie z.B. die Entscheidung des Erblassers darüber, ob das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt maßgeblich sein soll oder das Heimatrecht – dann aber Rechtswahl erforderlich), sondern beschneidet auch die Rechte des Erblassers, insbesondere die Möglichkeit der Einflussnahme auf das Pflichtteilsrecht durch Verlagerung des Vermögens.