1. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG
Rz. 185
Erfolgt vor oder nach der außergerichtlichen Tätigkeit über denselben Gegenstand eine gerichtliche Tätigkeit ist eine hälftige Anrechnung der Geschäftsgebühr vorzunehmen, maximal jedoch bis zu einem Gebührensatz von 0,75, Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG.
Rz. 186
Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr eines gerichtlichen Verfahrens ist in der Vorbemerkung zu Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses geregelt. Dort heißt es in Absatz 4:
Rz. 187
Zitat
1Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 entsteht, wird diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. 2Bei Betragsrahmengebühren beträgt der Anrechnungsbetrag höchstens 207,00 EUR. 3Sind mehrere Gebühren entstanden, ist für die Anrechnung die zuletzt entstandene Gebühr maßgebend. 4Bei einer wertabhängigen Gebühr erfolgt die Anrechnung nach dem Wert des Gegenstands, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist.“
Rz. 188
Dabei ist die Anrechnung unabhängig von der Reihenfolge der Entstehung der Gebühren nur insoweit vorzunehmen, als der Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit sich mit dem Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit deckt.
Rz. 189
Neben der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG kommt § 15a RVG zur Anwendung. § 15a RVG betrifft alle Anrechnungsfälle des RVG, nicht nur die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf eine Verfahrensgebühr. § 15a Abs. 1 RVG erlaubt die Anrechnung der Geschäftsgebühr auch "auf sich selbst" und stellt somit eine Ergänzung zu Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG bzw. weiteren Anrechnungsregelungen des RVG dar. § 15a Abs. 2 RVG wurde zum 1.1.2021 neu aufgenommen (der bis 31.12.2020 geltende Absatz 2 wurde zu Absatz 3. Hier hat der Gesetzgeber klarstellend geregelt, wie anzurechnen ist, wenn zunächst mehrere Geschäftsgebühren außergerichtlich entstanden sind, im gerichtlichen Verfahren dann aber eine einheitliche Verfahrensgebühr entsteht. § 15a RVG regelt zudem in Abs. 3 abschließend, wann ein erstattungspflichtiger Dritter sich auf die Anrechnung der Gebühr berufen kann.
2. Voraussetzungen der Anrechnung
Rz. 190
Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr hat nur dann zu erfolgen, wenn:
▪ |
über den Gegenstand auch ein gerichtliches Verfahren erfolgt oder vorausgegangen ist (siehe Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 4 VV RVG); |
▪ |
derselbe RA außergerichtlich und gerichtlich tätig wird (gilt auch für Sozietät und Berufsausübungsgesellschaft); |
▪ |
sich die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit gegen denselben Gegner gerichtet haben; |
▪ |
ein zeitlicher Zusammenhang (siehe Anrechnungsausschluss in § 15 Abs. 5 S. 2 RVG) besteht. |
3. Anrechnung bei Gegenstandsidentität und Gegenstandsungleichheit
Rz. 191
Wie erfolgt die Anrechnung, wenn sich der Gegenstand der außergerichtlichen anwaltlichen Tätigkeit von der des gerichtlichen Verfahrens unterscheidet? Grundsätzlich gilt:
▪ |
Ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit gleich, wird die Geschäftsgebühr hälftig, maximal bis zu 0,75 auf eine Verfahrensgebühr des nachfolgenden Verfahrens angerechnet |
▪ |
Ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit des gerichtlichen Verfahrens höher, wird die Geschäftsgebühr ebenfalls hälftig, maximal bis zu 0,75 auf die Verfahrensgebühr angerechnet, jedoch nur aus dem Wert, aus dem die Geschäftsgebühr entstanden ist. |
▪ |
Ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit der gerichtlichen Tätigkeit niedriger, ist die Geschäftsgebühr ebenfalls hälftig, maximal bis zu 0,75 auf die Verfahrensgebühr anzurechnen, jedoch nur aus dem Wert, der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist. |
Rz. 192
Muster 20: Musterrechnung 5.20: Außergerichtliche Vertretung – Besprechung – gerichtliche Geltendmachung – Gegenstand identisch
Musterrechnung 5.20: Außergerichtliche Vertretung – Besprechung – gerichtliche Geltendmachung – Gegenstand identisch
Rechtsanwältin S macht außergerichtlich Zugewinnausgleichsansprüche in Höhe von 45.000,00 EUR geltend. Gegner K meldet sich telefonisch und bespricht die Angelegenheit mit Rechtsanwältin S. K will keine Zahlung leisten. In der Folge wird nach erteiltem Verfahrensauftrag ein entsprechender gerichtlicher Antrag eingereicht. Der Gegenstand der außergerichtlichen und gerichtlichen Tätigkeit bezog sich auf dieselbe Forderung i.H.v. 45.000,00 EUR.
1. Außergerichtliche Tätigkeit
Gegenstandswert: 45.000,00 EUR, §§ 23 Abs. 1 S. 3 RVG, 35 FamGKG
1,3 Geschäftsgebühr aus 45.000,00 EUR Nr. 2300 VV RVG |
1.557,40 EUR |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Zwischensumme |
1.577,40 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
29,71 EUR |
Summe |
1.877,11 EUR |
2. Gerichtliche Tätigkeit
Gegenstandswert: 45.000,00 EUR, §§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG, 35 FamGKG
1,3 Verfahrensgebühr aus 45.000,00 EUR Nr. 3100 VV RVG |
1.557,40 EUR |
abzgl. 0,65 Geschäftsgebühr aus 4... |