Rz. 438

Die Kenntnis vom Schaden ist nicht gleichbedeutend mit der Kenntnis vom Umfang des Schadens.[418] Geht es um den Ersatz eines Personenschadens, reicht die Kenntnis aus, dass ein (irgendein) Personenschaden entstanden ist. Ausreichende Tatsachenkenntnis ist i.d.R. gegeben, wenn der Verletzte aufgrund der ihm bekannten Umstände gegen eine bestimmte Person eine Schadenersatzklage erheben kann, die bei verständiger Würdigung der sich bietenden Sachlage so viel Erfolgsaussicht hat, dass die Erhebung zumindest zumutbar erscheint[419] (siehe auch die Fußnoten zu Rdn 332, 394; ferner Rdn 388 ff.). Die Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn ist gegeben, wenn die Klage bei verständiger Würdigung hinreichende Erfolgsaussichten hat; es ist nicht erforderlich, dass die Rechtsverfolgung risikolos möglich ist.[420] Die Kenntnis des Verletzten vom Schaden muss sich auch darauf erstrecken, dass er selbst geschädigt ist und daher als Inhaber einer Schadenersatzforderung in Betracht kommt.[421]

 

Rz. 439

Die Frist beginnt mit der Kenntnis des Schadens im Allgemeinen. Alle Schadenfolgen, deren Eintritt im Zeitpunkt der allgemeinen Schadenkenntnis nur als möglich voraussehbar war, werden dabei umfasst.[422] Die volle Übersehbarkeit des Umfanges und der Höhe des Schadens ist für den Verjährungsbeginn nicht erforderlich. Der Grundsatz der Schadenseinheit beruht auf den Geboten der Rechtsklarheit und -sicherheit; hieraus folgt, dass Ausnahmen von diesem Grundsatz nur in eng begrenzten Fällen akzeptabel sind.[423] Für den Verjährungsbeginn von unfallbedingten Spätschäden ist der Zeitpunkt maßgebend, ab dem sich die Verletzungsfolge als derart naheliegend darstellt, dass sie im Rahmen einer Feststellungsklage hätte geltend gemacht werden können; die Erkennbarkeit der Verletzungsfolgen beurteilt sich dabei nicht nach der subjektiven Sicht des Geschädigten, sondern allein nach objektiven Gesichtspunkten, d.h. nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines medizinisch Sachkundigen.[424]

 

Rz. 440

Für die Beurteilung der möglichen Voraussehbarkeit kommt es nicht stets auf die Sicht des Geschädigten an; entscheidend kann auch die Sicht medizinischer Fachkreise (z.B. bei HWS-Problematiken[425]) sein. Nur Schadenfolgen, die im Zeitpunkt der allgemeinen Kenntnis vom Schaden auch für Fachleute nicht voraussehbar sind, werden von der Schadenseinheit nicht erfasst.[426]

[418] BGH v. 27.11.1990 – VI ZR 2/90 – LM § 242 BGB (Cb) Nr. 20 = NJW 1991, 973 = NZV 1991, 143 = r+s 1992, 107 = VersR 1991, 115 = VRS 80, 321; BGH v. 11.7.1989 – VI ZR 234/88 – NJW-RR 1989, 1367; BGH v. 20.4.1982 – VI ZR 197/80 – r+s 1982, 141 = VersR 1982, 703 = zfs 1982, 260; BGH v. 10.7.1979 – VI ZR 24/77 – VersR 1979, 1106 = VRS 57, 249; OLG Koblenz v. 7.7.2000 – 8 U 1560/99 – VersR 2002, 64; OLG Zweibrücken v. 5.4.1994 – 1 U 252/92 – SP 1994, 212 = VersR 1994, 1439.
[419] BGH v. 2.4.1998 – III ZR 309/96 – BGHZ 138, 247 = DVBl 1998, 794 (nur Ls.) = MDR 1998, 777 = JR 1998, 507 = NJW 1998, 2051 = VersR 1998, 1019 = WM 1998, 1679 m.w.N.; BGH v. 31.10.1989 – VI ZR 84/89 – DAR 1990, 60 = MDR 1990, 532 = NJW-RR 1990, 222 = NZV 1990, 114 = VersR 1990, 167 = zfs 1990, 120 (nur Ls.); BGH v. 11.2.1980 – II ZR 259/78 – VersR 1980, 846 = zfs 1980, 327; OLG Hamm v. 31.1.1994 – 6 U 128/93 – zfs 1994, 397.
[420] BGH v. 14.7.2022 – VII ZR 422/21 – MDR 2022, 1279 = NJW 2022, 3284 = NZV 2023, 90 = VersR 2022, 1520 = WM 2022, 1743; BGH v. 10.2.2022 – VII ZR 679/21 – BB 2022, 1170 = BeckRS 2022, 4167 (juris-Rn 34); BGH v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20 – BeckRS 2020, 37753 = MDR 2021, 230 = NJW 2021, 918 = NZV 2021, 259 = VersR 2021, 324 = WM 2021, 135 = ZIP 2021, 197 (Rn 11).
[421] BGH v. 17.10.1995 – VI ZR 246/94 – MDR 1996, 151 = NJW 1996, 117 = VersR 1996, 76 = WI 1995, 205 = zfs 1996, 86.
[422] BGH v. 16.11.1999 – VI ZR 37/99 – DAR 2000, 115 = JurBüro 2000, 331 (nur Ls.) = MDR 2000, 270 = NJW 2000, 861 = NZV 2000, 204 = r+s 2000, 110 = SP 2000, 86 = VersR 2000, 331 = VRS 98, 264 = zfs 2000, 150; BGH v. 3.6.1997 – VI ZR 71/96 – DAR 1997, 395 = NJW 1997, 2448 = NZV 1997, 395 = r+s 1997, 368 = VersR 1997, 1111 = zfs 1997, 365; BGH v. 27.11.1990 – VI ZR 2/90 – LM § 242 BGB (Cb) Nr. 20 = NJW 1991, 973 = NZV 1991, 143 = r+s 1992, 107 = VersR 1991, 115 = VRS 80, 321 (11 Jahre nach HWS-Schleudertrauma Querschnittlähmung); BGH v. 16.10.1990 – VI ZR 275/89 – NJW-RR 1991, 470 = r+s 1991, 115 = VersR 1991, 179; BGH v. 3.11.1987 – VI ZR 176/87 – DAR 1988, 136 = DB 1988, 1590 (nur Ls.) = MDR 1988, 396 = NJW 1988, 965 = r+s 1988, 93 = VersR 1988, 401 = zfs 1988, 167 (nur Ls.); BGH v. 20.4.1982 – VI ZR 197/80 – DOK 1983, 822 = r+s 1982, 141 = VersR 1982, 703 = zfs 1982, 260 (17 Jahre nach Knöchelfraktur Dauerschaden); BGH v. 8.5.1979 – VI ZR 207/77 – VersR 1979, 646 (9 Jahre nach Kopfverletzung epileptische Anfälle); BGH v. 30.1.1973 – VI ZR 4/72 – BB 1973, 539 = MDR 1973, 401 = NJW 1973, 702 = VersR 1973, 371 = VRS 44, 401 (6 Jahre nach Tibiafraktur Dauerschaden);...

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