Rz. 408
Grob fahrlässige Unkenntnis schadet auch Drittleistungsträgern (z.B. Sozialversicherungsträger, Sozialhilfeträger, beamtenrechtlicher Dienstherr). Nachdem in der Gesetzesbegründung auch das Vertrauen in das Nichtverfolgen von Ansprüchen (u.a. auch mit Blick auf die stark verkürzte Verjährung eines möglichen Gesamtschuldnerausgleiches) und die Dispositionsfreiheit des Schadenersatzschuldners als schützenswertes Gut des Schadenersatzschuldners ausdrücklich herausgestellt werden, müssen auch verwaltungsinterne Informationsdefizite und Versäumnisse zulasten des Gläubigers bereits unter Aspekt der groben Fahrlässigkeit durchschlagen, ohne dass im Einzelfall dann auf § 242 BGB (z.B. unter dem Aspekt der Verwirkung) zurück zu greifen wäre.
Rz. 409
Zu berücksichtigen sind grob fahrlässiges Verhalten der Regressabteilung, des dort zuständigen Sachbearbeiters, aber auch der Verwaltung insgesamt (z.B. in der Form des Organisationsverschuldens).
Rz. 410
Beim Drittleistungsregress (z.B. SVT, Träger der Sozialhilfe, beamtenrechtlicher Dienstherr) ist insbesondere ein Organisationsverschulden zu beachten, wenn beispielsweise keine generelle Vorsorge dafür getroffen wird, dass die Leistungsabteilungen die mit der Durchführung von Regressen beauftragten Personen nicht oder nicht rechtzeitig über Rückgriffsmöglichkeiten informieren.
Rz. 411
Das Fehlen eines verlässlichen Informationsflusses in einer Behörde mit verschiedenen Abteilungen deutet auf eine grob fahrlässige Unkenntnis des Bestehens eines Regressanspruches hin. Der Drittleistungsträger hat seine organisatorischen Vorgaben unauffällig zu überwachen, eine Überwachung mit Ankündigung entlastet nicht.
Rz. 412
Die Informationspflicht gilt auch dann, wenn Sachbearbeitung für rechtlich verschiedene Körperschaften erfolgt. Dies gilt z.B. im kommunalen Bereich für den Träger der Sozialhilfe (SHT), in dessen Haus (nicht selten in der Sachbearbeitung personen-identisch) auch der Träger der Eingliederungshilfe und der Träger nach dem AsylbLG tätig wird (Rdn 508; § 2 Rdn 207; § 3 Rdn 58 ff., § 3 Rdn 202 f.). Eine vergleichbare Situation gilt für die Krankenkasse, die organisatorisch die Aufgaben der Pflegekasse übernimmt (§§ 1 Abs. 3, 46, 48 Abs. 1 SGB XI; Rdn 489). Wird beim jeweils zuständigen Träger kein eigenständiger Vorgang angelegt, wenn in einem anderen Bereich Kenntnis vom Schaden erlangt wird, liegt hierin ein vorwerfbares Organisationsversagen.
Rz. 413
Nach § 119 Abs. 2 S. 1 SGB X hat derjenige Versicherungsträger, auf den Beiträge zur Rentenversicherung nach § 116 SGB X übergehen (wie gesetzliche Krankenversicherung, Unfallversicherungsträger, Bundesagentur für Arbeit), den von ihm festgestellten Sachverhalt dem Rentenversicherungsträger auf einem Meldevordruck zu übermitteln. Das Meldeverfahren gilt zwar grundsätzlich für Schadensfälle erst ab 1.1.1992 (erfasst werden auch Fälle im Zeitraum 1.7.1983–31.12.1991, aber nur mit Beitragsansprüchen ab 1.1.1992) und für Schadensfälle in der ehemaligen DDR ab 1.1.1991. Die Meldung hat in dem Zeitpunkt zu erfolgen, in dem der Leistungsträger seine Regressansprüche geltend macht. Die Meldung erfolgt bislang in einem fehleranfälligen Meldeverfahren in Papierform; ein elektronisches Meldeverfahren existiert bislang nicht. Zum Zusammenspiel im Rahmen von § 119 Abs. 2 SGB X Lemcke.
Rz. 414
Es gelten die Grundsätze der sekundären Darlegungslast (§ 2 Rdn 250 ff.). Nach längerem Zeitablauf ist es Sache des Drittleistungsträgers (z.B. SVT) näher darzulegen, woran es gelegen hat, dass Ersatzansprüche erst spät angemeldet wurden. Gerade SVT und Dienstherrn sind professionelle Regressgläubiger, bei denen der Informationsfluss zwischen Leistungs- und Regressabteilung eine adäquate Organisation bedingt.
Rz. 415
Überlastung der Regresssachbearbeiter oder mangelnde Qualifikation stehen einer Bejahung der grob fahrlässigen Unkenntnis nicht entgegen.
Rz. 416
Werden beispielsweise Sachbearbeiter von Leistungsabteilungen oder Behörden nicht dahingehend geschult oder nachhaltig unterrichtet, dass bei fremdverursachten Leistungen auch Rückgriffsmöglichkeiten gegen den Verantwortlichen bestehen könnten (und bei Fehlen von Regresssachbearbeitern dann die Angelegenheit zur Prüfung an die Rechtsabteilung oder einen Rechtskundigen abzugeben ist), liegt in dieser mangelnden Vorsorge für Regressmöglichkeiten ein grob fahrlässiges Fehlverhalten.
Rz. 417
Eine den Verjährungsbeginn auslösende, weil auf grober Fahrlässigkeit beruhende, Unkenntnis der Gläubigerseite kann auch darin liegen, dass der Gläubiger auf der Hand liegende, leicht zugängliche Informationsquellen, die weiterführende Erkenntnisse über die anspruchsbegründenden Umstände erwarten lassen, nicht genutzt hat. Entsprechendes gilt, wenn von dritter Seite angebotene Erkenntnismöglichkeiten nicht innerhalb angemessener Zeit oder offenkundig nur unvollständig genutzt wurden.