aa) Schadenfall vor dem 1.1.2002 – dreijährige Frist
Rz. 46
Beispiel 5.1
M erlitt am 20.5.1999 einen Unfall.
Kenntnis von Schaden und Ersatzpflichtigen hat er ebenfalls am 20.5.1999. M kümmert sich überhaupt nicht um die Angelegenheit, insbesondere nicht um die Anmeldung von Schadenersatzansprüchen.
Ergebnis:
Verjährung trat am 20.5.2002, 24:00 h ein.
(1) Vergleich der Systeme
(a) Altes Recht
Rz. 47
Nach altem Recht (§ 852 Abs. 2 BGB a.F.) begann die dreijährige Verjährungsfrist mit positiver Kenntnis des Verletzten vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen. Die Frist endet exakt 36 Monate ab dem auf die Kenntnisnahme folgenden Tag (§§ 187 ff. BGB), also am 20.5.2002, 24:00 h.
(b) Neues Recht
Rz. 48
Würde das durch das Schuldrechtmodernisierungsgesetz geänderte Verjährungsrecht angewendet, betrüge die Verjährungsfrist ebenfalls 36 Monate ab Kenntnis von Schaden und Ersatzpflichtigem, allerdings mit einem auf das Jahresende verschobenen Fristbeginn (§ 199 Abs. 1 BGB). Die Verjährungsfrist würde drei Jahre später am 20.5.2002, verlängert aber zum Jahresultimo am 31.12.2002, 24:00 h enden.
(2) Konkurrenz der Systeme
Rz. 49
Nach Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist das neue Recht auch auf Schadenfälle, die sich vor dem 1.1.2002 ereigneten, grundsätzlich anzuwenden.
Rz. 50
Den Konflikt löst Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB. Danach gilt für Altforderungen aus der Zeit vor dem 1.1.2002 deren kürzere Verjährungsfrist.
(3) Ergebnis
Rz. 51
M hatte ausreichende Kenntnis am 20.5.1999. Die Frist lief am 20.5.2002, 24:00 h ab; am 21.5.2002, 00:00 h war Verjährung eingetreten. Die Fristverlängerung nach neuem Recht bleibt außer Betracht.
(4) Anmerkung
Rz. 52
Auch wenn bei M einzelne Vermögenseinbußen (z.B. Minderverdienste) erst während des weiteren Ablaufes der Verjährungsfrist (z.B. im Oktober 2001 oder Mai 2005) eintreten, steht diesen Ansprüchen der Verjährungseinwand ab dem 21.5.2002 generell entgegen, da der zugrundeliegende Anspruch (Stammrecht) nicht bis zum 20.5.2002, 24:00 h verjährungshemmend oder -unterbrechend erhoben wurde.
bb) Schadenfall vor dem 1.1.2002 – Erkennbarkeit (grob fahrlässige Unkenntnis) bereits vor dem 1.1.2002
Rz. 53
Beispiel 5.2
M erlitt am 20.5.1999 einen Unfall.
M hatte am 20.5.1999 noch keine positive Kenntnis von der Person des Schädigers. Spätestens am 27.6.1999 hätte er – oder sein Rechtsanwalt – diese Kenntnis haben können; er hatte sich aber grob fahrlässig einer Kenntnisnahme verschlossen.
Ergebnis:
Verjährung trat am 31.12.2004, 24:00 h ein.
(1) Vergleich der Systeme
(a) Altes Recht
Rz. 54
Nach altem Recht (§ 852 Abs. 2 BGB a.F.) läuft die dreijährige Verjährungsfrist erst ab positiver Kenntnis (zu den Einschränkungen Rdn 379 ff.). Sein grob fahrlässiges Verhalten schadet dem M nicht. M hätte 30 Jahre ab schädigender Handlung (absolute Grenze des § 852 Abs. 1 BGB a.F.) Zeit gehabt, seine Ansprüche zu verfolgen.
(b) Neues Recht
Rz. 55
Das durch das Schuldrechtmodernisierungsgesetz geänderte Verjährungsrecht sanktioniert grobe Fahrlässigkeit bei der Wahrnehmung des Ersatzanspruches (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB). Die Verjährungsfrist würde danach mit dem auf den 28.6.1999 folgenden Jahresende (§ 199 Abs. 1 BGB) begonnen und mit dem Ablauf des Jahres 2002 (Jahresultimo) geendet haben.
(2) Konkurrenz der Systeme
Rz. 56
Nach Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist das neue Recht auch auf Schadenfälle, die sich vor dem 1.1.2002 ereigneten, grundsätzlich anzuwenden.
Rz. 57
Die Verjährung beginnt aber erst mit dem 1.1.2002 zu laufen (§ 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB) und endet, sofern keine hemmenden oder unterbrechenden Schritte gegeben sind, dann mit Ablauf des 31.12.2004 (§ 6 Abs. 4 S. 1 EGBGB).
(3) Ergebnis
Rz. 58
Grob fahrlässiges Verhalten schadet dem M auch in bereits am 1.1.2002 existenten Haftpflichtfällen. Die Verjährungsfrist beginnt dann mit dem 1.1.2002 zu laufen, wenn bereits vor dem 1.1.2002 von grob fahrlässiger Unkenntnis auszugehen ist. Ab dem 1.1.2005 steht der Verjährungseinwand der Forderung von M entgegen.
Rz. 59
Praktische Relevanz besteht neben dem Gesamtschuldnerausgleich für den Regress der Sozialversicherung, vor allem aber Rückgriffen von Sozialhilfe und beamtenrechtlichem Dienstherrn.