I. Einredeerhebung und Schadenminderung
Rz. 827
Ob sich eine Partei überhaupt auf das anspruchsausschließende Argument der Verjährung beruft, steht nicht nur im Prozess grundsätzlich zu ihrer alleinigen Disposition. Es besteht daher auch keine Verpflichtung zum unverzüglichen Geltendmachen.
Rz. 828
Abzuwägen ist beim Gesamtschuldnerinnenausgleich auch zum (u.U. ebenfalls interessengeprägten) gesamtschuldnerischen Außenverhältnis. Ob die Nicht-Erhebung eines Verjährungseinwandes im Anspruchsverhältnis (und anschließend vor allem aber auch im Hinblick auf einen späteren Gesamtschuldausgleich) beachtlich ist, ist eine Frage des Einzelfalls.
Rz. 829
Die Zumutbarkeit der Einredeerhebung orientiert sich vor allem daran, ob die Einrede sich als treuwidrig oder sittlich anstößig darstellt.
Rz. 830
Das OLG Hamm formuliert:
Zitat
Die Verpflichtung der Klägerin, gegenüber etwaigen Ansprüchen der Fa. R. die Verjährungseinrede zu erheben, folgt aus § 254 BGB, wonach der Geschädigte verpflichtet ist, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Insoweit ist anerkannt, dass der Nichtgebrauch von Rechtsbehelfen gegen diese Vorschrift verstoßen kann (vgl. BGHZ 90, 32; BGHZ 110, 330). Ein Mitverschulden i.S.d. § 254 Abs. 2 BGB muss dann bejaht werden, wenn der Geschädigte Maßnahmen unterlässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Abwendung oder Minderung von Schäden ergreifen würde, wobei Abgrenzungsmaßstab der Grundsatz von Treu und Glauben ist (BGHZ 4, 174).
In der heutigen Zeit wird ein wirtschaftlich denkender Kaufmann sich i.d.R. auf einen Verjährungseintritt berufen dürfen, da nach jetzigen Moralvorstellungen die Geltendmachung der Verjährung nicht verwerflich ist und im übrigen die betreffenden Vorschriften über die Verjährung sowohl dem Gedanken des Rechtsfriedens, damit dem öffentlichen Interesse, als auch den berechtigten Interessen des Schuldners dienen. Besondere Umstände, die es ausnahmsweise als für die Klägerin unzumutbar erscheinen lassen würden, die Verjährungseinrede zu erheben, sind nicht zu erkennen.“
Rz. 831
Das Nicht-Erheben der Verjährungseinrede kann sich als treuwidrig gegenüber demjenigen erweisen, der dann wegen der bezahlten, aber verjährten, Forderung anderweitig in Anspruch genommen wird; BGH NJW 2016, 2032 sieht die Pflicht zur Erhebung des Einwandes sogar als Regelfall an. Lassen z.B. Werkstatt, Sachverständiger, Mietwagenunternehmen oder Arzt Forderungen gegenüber ihren Kunden (Unfallgeschädigte) verjähren, ist es dem Kunden (= Geschädigter) regelmäßig zumutbar, die Verjährungseinrede zu erheben.
Rz. 832
Ist dem Geschädigten die Erhebung der Verjährungseinrede gegenüber seinen Gläubigern zumutbar, ist sein Schadenersatzanspruch gegenüber einem (weiteren) Ersatzpflichtigen wegen Verstoßes gegen § 254 BGB ausgeschlossen.