Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
Rz. 4
Die Abrechnung strafrechtlicher Mandate nach Maßgabe des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes erfolgt nach Teil 4 des Vergütungsverzeichnisses.
1. Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG)
Rz. 5
Für die erstmalige Einarbeitung in die Angelegenheit erhält der Anwalt, unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt er mandatiert wird, eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG. Sie fällt stets nur einmal an und liegt beim Wahlanwalt zwischen 44,00 EUR und 396,00 EUR, woraus sich eine Mittelgebühr für durchschnittliche Fälle von 220,00 EUR ergibt.
Befindet sich der Mandant nicht auf freiem Fuß (Vorb. 4 Abs. 4 zu Teil 4 VV), fällt die Gebühr mit Zuschlag nach Nr. 4101 VV RVG an, d.h. sie kann einem Rahmen von 44,00 EUR bis 495,00 EUR (Mittelgebühr: 269,50 EUR) entnommen werden. Soweit der Anwalt sich im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens bereits einmal in die Angelegenheit eingearbeitet hatte (Nr. 5100 VV RVG), wird die dort angefallene Gebühr auf die Gebühr nach Nr. 4100 VV RVG angerechnet; dies verdeutlicht die Intention des Gesetzgebers, wirklich nur die erstmalige Einarbeitung zu honorieren, ganz unabhängig davon, welches Schicksal das Verfahren im weiteren Verlauf nimmt.
2. Vorbereitendes Verfahren (Nrn. 4104 f. VV RVG)
Rz. 6
Wird der Anwalt während des vorbereitenden Verfahrens (das ist der Abschnitt zwischen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bis zum Erlass einer abschließenden Verfügung) tätig, erhält er eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG. Ein Zuschlag nach Nr. 4105 VV RVG ist bei Mandanten, welche sich nicht auf freiem Fuß befinden, möglich. Werden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens
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richterliche Vernehmungen und Augenscheinseinnahmen, |
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Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft oder eine andere Strafverfolgungsbehörde, |
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Termine außerhalb der Hauptverhandlung, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung verhandelt wird, |
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Verhandlungen im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs oder |
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Sühnetermine nach § 380 StPO |
abgehalten, fällt eine Gebühr nach Nr. 4102 VV RVG an.
Rz. 7
Besondere Bedeutung hat die Gebühr Nr. 4141 VV RVG: Denn wird das Ermittlungsverfahren nicht nur vorläufig eingestellt, wird der Anwalt, wenn er an dieser Einstellung durch seine Tätigkeit mitgewirkt hat, mit einer Erledigungsgebühr vergütet, die einer mittleren Verfahrensgebühr entspricht. Es handelt sich um eine Festgebühr. Der Grad der Mitwirkung ist unerheblich, entscheidend ist, dass der Anwalt eine auf die Einstellung gerichtete Tätigkeit entfaltet hat. Irgendeine Form der Mitursächlichkeit der anwaltlichen Tätigkeit in Bezug auf die Einstellung ist nicht erforderlich; auch muss die Tätigkeit nicht aus den Verfahrensakten hervorgehen.
Rz. 8
Beispiel
Mandant M – ein Berufskraftfahrer – sucht seinen Anwalt A auf, weil die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt. Er soll mit seinem Lkw einen Unfall verursacht und sich dann unerlaubt vom Unfallort entfernt haben (§ 142 StGB). A bespricht sich mit M, beantragt Einsicht in die Ermittlungsakte (Kosten: 12,00 EUR) und prüft den Sachverhalt. Es handelt sich um eine durchschnittliche Tätigkeit, in Anbetracht der drohenden Fahrerlaubnisentziehung ist die Sache für M von existenzieller Bedeutung.
Es stellt sich anhand der Aufzeichnungen des Arbeitgebers des M heraus, dass M sich mit seinem Lkw zum angeblichen Tatzeitpunkt im Ausland aufgehalten hatte, als Täter somit ausscheidet. Dies trägt A im Rahmen einer Verteidigungsschrift vor. Das Verfahren wird eingestellt.
A kann gegenüber dem Mandanten folgende Gebühren abrechnen:
1. Grundgebühr, VV 4100 |
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240,00 EUR |
2. Verfahrensgebühr, VV 4104 |
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200,00 EUR |
3. Erledigungsgebühr, VV 4141 |
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181,50 EUR |
4. Kosten Akteneinsicht |
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12,00 EUR |
5. Auslagenpauschale, VV 7002 |
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20,00 EUR |
Zwischensumme |
653,50 EUR |
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6. Umsatzsteuer, VV 7008 |
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124,17 EUR |
Gesamt |
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777,67 EUR |
In Anbetracht der besonderen Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten M ist eine Anhebung der Grundgebühr und der Verfahrensgebühr über den Mittelsatz hinaus gerechtfertigt. Die Erledigungsgebühr entsteht, wie oben ausgeführt, als Festgebühr in Höhe der Rahmenmitte. Die Akteneinsicht ist, obwohl nicht im VV RVG geregelt, erstattungsfähig (und, wie die Gebühren, umsatzsteuerpflichtig).
Rz. 9
Eine Erstattung der im vorbereitenden Verfahren entstandenen Anwaltskosten findet, auch bei Einstellung des Verfahrens, nicht statt. Die Strafprozessordnung sieht hier keine Erstattungsregelungen vor.
3. Gerichtliche Tätigkeit in 1. Instanz (Nrn. 4106 f. VV RVG)
Rz. 10
Für die Vertretung im gerichtlichen Verfahren der ersten Instanz ergibt sich die Abrechnung aus den Gebührenziffern Nrn. 4106 ff. VV RVG. Dieses Stadium beginnt mit dem Eingang der Anklageschrift, des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht oder im beschleunigten Verfahren mit dem Vortrag der Anklage, wenn diese nur mündlich erhoben wird (vgl. Nr. 4104 VV RVG). Auch hier soll eine typische Abrechnung anhand eines Beispiels verdeutlicht werden:
Rz. 11
Beispiel
Mandant M sucht seinen Rechtsanwalt A auf, nachdem ...