aa) Allgemeines

 

Rz. 30

Innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall muss ein Arzt die Invalidität festgestellt haben. Die ärztliche Feststellung der Invalidität ist ebenso wie das Erfordernis des Eintritts der Invalidität binnen Jahresfrist eine objektive Anspruchsvoraussetzung.

Grund der Befristung ist, dass nur eindeutig nachweisbare und erkennbare Unfallfolgen entschädigt werden sollen. Der VR soll für Spätfolgen, die regelmäßig nicht mehr eindeutig (auch anteilig) dem Unfall zugerechnet werden können und daher mit Beweisproblemen behaftet sind, nicht eintreten müssen. Diese Beschränkung stellt auch keine unangemessene Härte für den VN dar.[33]

 

Rz. 31

 

Hinweis

Der VR kann nicht auf ein Vorliegen dieser Anspruchsvoraussetzungen verzichten.[34] Im Prozess muss also zwingend eine ärztliche Feststellung der Invalidität innerhalb der Frist vorliegen. Der VR kann lediglich auf die Geltendmachung der Fristversäumnis verzichten.

[33] Vgl. Grimm, Ziff. 2 Rn 9.

bb) Schriftformerfordernis

 

Rz. 32

Ziff. 2.1.1.1. AUB 08/99 stellt klar, dass die ärztliche Feststellung schriftlich erfolgen muss. Bei § 7 I (1) AUB 94/88 und § 8 II (1) AUB 61 ist die Schriftform nicht ausdrücklich gefordert. Deshalb ist es umstritten, ob dort eine nicht schriftlich erfolgte Feststellung ausreicht.[35] Wegen der Rechtspflicht des Arztes zur ordnungsgemäßen Dokumentation (§ 10 MBO-Ä), muss eine ärztlichen Feststellung zur Invalidität in der Patientenakte mit entsprechendem Datum zu finden sein. Dauerhafte Schädigungen sind medizinisch für die VP von Belang und zu dokumentieren. Da bereits elektronisch gespeicherte Patientendokumentationen dem Schriftformerfordernis genügen,[36] ist der Nachweis bei einer tatsächlich erfolgten ärztlichen Feststellung problemlos zu führen. Zu beachten ist aber, dass es sich um eine Feststellung handeln muss, die den Anforderungen des Rechtskreises der privaten Unfallversicherung genügt, da z.B. die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit im sozialrechtlichen Sinne anderen Kriterien folgt.[37]

 

Rz. 33

 

Praxistipp

Fehlt trotz der Feststellung der Invalidität eine Dokumentation beim Arzt, dann sollte, wenn der VR einen Invaliditätsanspruch wegen fehlender Dokumentation ablehnt, ein Schadenersatzanspruch gegen den Arzt geprüft werden, da er gegen seine Dokumentationspflichten verstoßen hat. Dies wird aber mit erheblichen Beweisschwierigkeiten verbunden sein.[38]

[35] Gegen Schriftformerfordernis: OLG Karlsruhe v. 7.2.2005 – 12 U 304/04, VersR 2005,1230; OLG Frankfurt v. 16.4.1992 – 16 U 107/91, VersR 1993,174; für Schriftformerfordernis OLG Köln v. 9.11.1988 – 5 W 95/88, VersR 1989, 352; OLG München v 17.1.1994 – 26 U 3886/93, VersR 1995,565; OLG Hamm v. 16.2.2007 – 20 U 219/06, VersR 2007, 1361; OLG Saarbrücken v. 20.6.2007 – 5 U 70/07–4, r+s 2010, 387.
[36] Kloth, G Rn 25.
[37] LG Berlin v. 7.8.2001 – 7 O 31/01, r+s 2003, 380.
[38] Zur Beweissituation bei unterlassener, aber medizinisch gebotener Befunderhebung: BGH v. 6.7.1999 – IV ZR 290/98, NJW 1999, 3408 ff.

cc) Inhalt der Feststellung

 

Rz. 34

Die ärztliche Feststellung muss darlegen:

einen Dauerschaden (prognostisch),
die unfallbedingte Gesundheitsschädigung der VP und
einen Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Gesundheitsschädigung.

(Attest-Muster: vgl. § 16 Rn 8)

Wichtig ist, dass nur die ärztlich festgestellten und dem VR gegenüber angezeigten Dauerschäden zum Inhalt der Invaliditätsfeststellung werden.[39]

 

Beispiel

Die VP erleidet unfallbedingt eine schwere Verletzung am rechten Bein und eine leichtere am rechten Arm. Am Bein entsteht ein erheblicher Dauerschaden, während am Arm eine nur geringe Funktionsbeeinträchtigung zurück bleibt. Wegen der besonders schweren Beinverletzung beklagt die VP während der ärztlichen Untersuchung keine Beeinträchtigung des rechten Arms. Es wird daraufhin nur für das Bein eine Invalidität festgestellt und beim VR geltend gemacht. Eine Prüfung der Leistungsverpflichtung erfolgt daher nur hinsichtlich der Beinverletzung. Die Durchsetzung des möglichen Invaliditätsanspruchs für den linken Arm ist nach Ablauf der Frist zur ärztlichen Feststellung ausgeschlossen.

Der Anwalt bzw. Vermittler muss sicherstellen, dass die medizinische Klärung der Frage eines Dauerschadens hinsichtlich aller ursprünglichen Unfallverletzungen erfolgt.

 

Rz. 35

Die Feststellung muss nicht richtig sein,[40] jedoch eine verbindliche Aussage treffen, so dass es nicht ausreichend ist, wenn das Vorliegen eines Dauerschadens als nur "möglicherweise", "eventuell", "zur Zeit" oder "erst nach einer Begutachtung zu klären" bescheinigt wird.[41] Eine Aussage zur Höhe des Dauerschadens ist entbehrlich.[42]

Die Feststellung muss durch einen Arzt erfolgen. Ist die VP selber auch Arzt, so kann sie sich nicht selbst einen Dauerschaden bescheinigen.[43]

 

Rz. 36

Ob medizinische Unterlagen aus anderen Rechtskreisen ausreichen, muss im Einzelfall geprüft werden. Grundsätzlich ist hier Vorsicht geboten, denn eine dauerhafte körperliche Beeinträchtigung kann auch auf unfallfremden Erkrankungen beruhen, ...

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