Rz. 135
Auch nach der Reform aus dem Jahr 2010 bleiben zahlreiche Fragen und Auslegungsprobleme ungeklärt. So bleibt fraglich, ob auch ausdrückliche Ersatzerbeinsetzungen von Abkömmlingen oder von einzelnen Abkömmlingen durch Verzicht des Vorfahren ebenfalls entfallen.
Zudem darf die Reichweite des Zuwendungsverzichts nicht verkannt werden. So kommt es auch nach der geltenden Fassung der Vorschrift nicht zu einer Erstreckungswirkung auf die Abkömmlinge des Verzichtenden und damit nicht zu einer Befreiung von einer eingetretenen erbrechtlichen Bindung,
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wenn eine Anwachsung nach § 2094 BGB an die anderen bindend eingesetzten Erben eintritt, |
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wenn andere als Abkömmlinge als Ersatzerben berufen sind (z.B. Patenkind oder Schwiegertochter), |
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wenn der Verzichtende nicht Abkömmling oder Seitenverwandter des Erblassers ist, wie z.B. der Ehegatte, oder |
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wenn die Erstreckungswirkung im Zuwendungsverzichtsvertrag ausdrücklich ausgeschlossen ist. |
Rz. 136
Zahlreiche Regelungen sind beim Zuwendungsverzicht möglich, insbesondere die Erstreckung oder Nichterstreckung auf Abkömmlinge. Nicht geklärt ist die Frage, ob die Erstreckungswirkung auch eine ausdrückliche Ersatzerbenberufung oder nur eine solche erfasst, die sich aus der Anwendung des § 2069 BGB ergibt.
Für die Testamentspraxis empfiehlt sich zudem die weitere Alternative, Ersatzberufungen unter die auflösende Bedingung zu stellen, dass sie ersatzlos wegfallen, wenn der Erstberufene einen Zuwendungsverzicht erklärt.
Rz. 137
Formulierungsbeispiel
Die vorgenannte Ersatzerbeinsetzung der X und Y sowie deren Abkömmlinge entfallen vollständig und ohne Ersatz, wenn unsere Tochter X einen Zuwendungsverzicht hinsichtlich ihrer Erbeinsetzung erklärt.
Rz. 138
Der erfolgte einfache Verweis auf § 2349 BGB hilft aber häufig in der Praxis nicht weiter, weil nicht nur Abkömmlinge als Ersatzberufene denkbar sind. Insofern greift die geltende Vorschrift nicht bei ersatzweise berufenen Erben und Vermächtnisnehmern, die nicht Abkömmlinge sind, und grundsätzlich auch nicht auf die dazu aufgrund der Auslegungsregel des § 2069 BGB stillschweigend Berufenen, soweit diese nicht Abkömmlinge des Erstberufenen sind. Gleiches gilt, wenn der Erstberufene nicht Abkömmling oder Seitenverwandter des Erblassers ist. Nach der Rechtsprechung kann der überlebende Ehegatte durch einen Zuwendungsverzicht nur des unmittelbar bestimmten Schlusserben nur dann von der erbrechtlichen Bindung frei werden, wenn keine ausdrückliche Ersatzerbenberufung besteht, sondern sich diese nur aus der kumulativen Anwendung der Auslegungsregeln der §§ 2069, 2270 Abs. 2 BGB ergibt.
Rz. 139
Als mögliche Ergänzungsregelung schlägt Weidlich eine isolierte Zustimmung des Bedachten zur Änderung vor. Eine derartige Variante dürfte aber nicht zulässig sein, weil eine letztwillige Verfügung nicht generell zustimmungsfähig ist. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn das Testament einen Abänderungsvorbehalt enthält. Insofern ist ratsam, einen derartigen (ggf. beschränkten) Änderungsvorbehalt zukünftig in gemeinschaftlichen Testamenten etc. aufzunehmen.
Rz. 140
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die Erstreckungswirkung des Zuwendungsverzichts auch eine ausdrückliche Einsetzung von Abkömmlingen zum Ersatzerben umfassen kann, wenn die Ersatzerbeneinsetzung die Abkömmlinge des Wegfallenden nicht einheitlich bedachte oder nur einzelne von diesen wie z.B. nur einen statt der vorhandenen zwei Enkel. Da es sich um eine bloße Erwerbschance des einzelnen Ersatzerben (Abkömmling) handelt, dürfte auch diese Ersatzerbenregelung vom Zuwendungsverzicht umfasst sein.
Rz. 141
Ebenso ungeklärt ist, ob im Zuwendungsverzichtsvertrag der Verzichtende die Erstreckungswirkung nur auf einzelne Abkömmlinge beschränken könnte. Dies ist bereits beim Pflichtteilsverzicht umstrittenen, jedoch ist die Einschränkbarkeit der Erstreckung im Ergebnis zu bejahen.
Rz. 142
Um Planungssicherheit durch den Zuwendungsverzicht zu schaffen, sollte dieser vorsorglich mit allen vorhandenen Ersatzerben bzw. -vermächtnisnehmern abgeschlossen werden. Sofern einer dieser Ersatzerben minderjährig ist, ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers (§§ 2347, 1629 Abs. 2, 1824 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und die Genehmigung des Familiengerichts erforderlich.
Rz. 143
Als weitere Alternative kommt ein schuldrechtlicher Ausschlagungsverzichtsvertrag in Frage, der aber kaum in der Praxis weiterhelfen dürfte, da die Ausschlagung die Ersatzberufung, also genau das Gegenteil des Gewollten, auslösen würde. Ferner kommt ein echter Vertrag zugunsten Dritter in Betracht, und zwar als Vereinbarung des Erstbedachten mit dem Erblasser zur Herausgabe oder Übertragung der Erbschaft, des Erbteils oder des Vermächtnisanspruchs an den neu Bedachten. Im Valutaverhältnis ist aber dann zwischen dem Begünstigten und dem Erblasser ein Schenkungsvertrag notwendig.
Selbstverständlich sind auch Zuwendungen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden möglich, wie die lebzeitige Zuwendung mit...