Rz. 1
Nach § 2100 BGB hat der Erblasser die Möglichkeit durch letztwillige Verfügung einen Erben (Nacherbe) erst einzusetzen, nachdem ein anderer zuvor Erbe (Vorerbe) geworden ist. Die Rechtsnachfolge in seinen Nachlass erfolgt in zeitlicher Aufeinanderfolge der Erben. Der Vorerbe ist dabei "wahrer Erbe", wenngleich seine Erbenstellung zeitlich begrenzt ist. Er ist solange Inhaber des Nachlasses, bis mit Eintritt des Nacherbfalls der Nacherbe Rechtsnachfolger des Erblassers wird. Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft ermöglicht dem Erblasser daher sein Vermögen über Generationen hinweg zu regeln. Dabei kann er entweder die Versorgung des Vorerben oder die Sicherung der Nacherben bezwecken. Ersichtlich ist dies durch die Befreiungen, die der Erblasser dem Vorerben gewährt (§ 2136 BGB). Nacherben eines vollständig befreiten Vorerben haben mit Eintritt des Nacherbfalls nur einen Anspruch auf den Überrest, solange der befreite Vorerbe den Nachlass nicht ohne Zustimmung des Nacherben verschenkt oder den Nachlass gemindert hat, um den Nacherben zu benachteiligen (§ 2138 Abs. 2 BGB). Der nicht-befreite Vorerbe ist hingegen zur ordnungsgemäßen Verwaltung verpflichtet (§ 2130 BGB), weshalb letztlich dem Nacherben die Wertsubstanz des Nachlasses zugute kommt.
Rz. 2
Die Einsetzung zeitlich aufeinanderfolgender Erben liegt allein in den Händen des Erblassers. Der Erblasser hat sowohl hinsichtlich der Anordnung als auch der Anzahl der Vor- und der Nacherben Gestaltungsmöglichkeiten. Er kann eine gestufte Nacherbfolge in dem Sinne anordnen, dass mehrere Nacherben hintereinander berufen werden. Tritt der erste Nacherbfall ein, wird der sodann berufene Nacherbe nicht endgültiger Erbe des Erblassers, sondern wiederum aufschiebend bedingt oder befristeter Vorerbe der auf ihn folgenden sog. Nachnacherben. Die Anzahl der Nacherbfälle ist dabei nicht begrenzt, § 2109 BGB setzt jedoch eine zeitliche Grenze. Der Erblasser kann innerhalb der Vor- und Nacherbschaft mehrere Personen gleichzeitig als Mitvorerben oder Mitnacherben einsetzen. Für Vor- und/oder Nacherben kann der Erblasser zudem Ersatzerben berufen (§ 2096 BGB). Diese treten an die Stelle des Erben, der vor oder nach Eintritt des Erbfalls wegfällt. Anerkannt ist weiterhin, dass der Erblasser Vor- und Nacherben für die ganze Erbschaft oder als Teilvor- oder Teilnacherben für Bruchteile der Erbschaft bestimmen kann. Für den restlichen Teil können sie als Vollerben eingesetzt sein.
Rz. 3
Bis heute ist die Konstruktion der Vor- und Nacherbschaft aus der erbrechtlichen Praxis nicht wegzudenken. Das Potenzial der Vor- und Nacherbschaft wirkt dabei für Unternehmer mit minderjährigen Kindern genauso attraktiv wie für moderne Patchwork-Familien mit "Problemkindern" aus vorangegangenen Beziehungen. Erscheint die Konstruktion zwar schnell als passend und vielseitig, bereitet sie für die Nachwelt häufig Schwierigkeiten. Neben der Dauer, den Verfügungsbeschränkungen und der langen Wartezeit des Nacherben, bringen auch die gegenläufigen Interessen von Vor- und Nacherben häufig Konflikte mit sich. Ist der Vorerbe vor allem daran interessiert, aus den Erträgen der Vorerbschaft ein möglichst hohes Eigenvermögen zu generieren, hat der Nacherbe Interesse an dem Erhalt und der Wertsteigerung der Vermögenssubstanz, die ihm bei Eintritt des Nacherbfalls zufällt.
Rz. 4
Hinzu kommt, dass in der Praxis die Mehrheit von Vor-, Nach oder auch Ersatzerben die Regel ist. Die Spannungen, die eine Zufallsgemeinschaft wie die Erbengemeinschaft bereits verursacht, werden durch die Besonderheiten bei Vor- und Nacherbschaft vertieft. Ein umsichtiger Rechtsgestalter sollte die Konstruktion der Vor- und Nacherbschaft daher gezielt nur in den erforderlichen Fällen mit ordentlicher Gestaltung und auch unter Einbezug steuerlicher Erwägungen einsetzen. Daher gibt dieses Kapitel einen Überblick über die Besonderheiten von Erbengemeinschaften unter Beteiligung von Vor- und Nacherben.