1. Die Rechtstellung der Vor- und der Nacherben vor Eintritt des Nacherbfalls
a) Echte Erben auf Zeit: Die Mitvorerben
Rz. 10
Aus § 2100 BGB folgt, dass der Vorerbe echter Erbe ist. Mit dem Erbfall geht das gesamte Vermögen (§ 1922 BGB), der Besitz des Erblassers (§ 857 BGB) sowie dessen Verbindlichkeiten (§ 1967 BGB) im Wege der Universalsukzession auf ihn über. Im Unterschied zum Vollerben steht der Erbschaftserwerb des Vorerben unter der Drohung ihres künftigen Wegfalls. Die Erbschaft begründet in den Händen des Erblassers daher eine Art Sondervermögen mit rechtlich selbstständigem Schicksal. Zu eigenem Recht erwirbt ein Vorerbe nur die Früchte im Rahmen ordnungsgemäßer Wirtschaft und die Nutzungen der Vorerbschaft, arg. ex §§ 2111 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, 2133 BGB.
Rz. 11
Sind mehrere Vorerben gleichzeitig und nebeneinander berufen, ist das Sondervermögen wiederum gesamthänderisch gebunden. Sie bilden eine gewöhnliche Erbengemeinschaft, auf welche die allgemeinen Vorschriften Anwendung finden (vgl. zu den Rechten und Pflichten der Miterben und gegenüber Dritten § 4).
Rz. 12
Der einzelne Vorerbe kann nur über seinen Anteil insgesamt verfügen (§ 2033 BGB) oder unter den Voraussetzungen des §§ 1942, 2306 Abs. 1 BGB die Erbschaft ausschlagen. Der Anteil des Vorerben wächst den in der Mitvorerbengemeinschaft verbleibenden Erben nach dem Verhältnis ihrer Anteile gem. § 2094 BGB an, sofern die Anwachsung nicht durch eine Anordnung des Erblassers oder ausdrückliche, konkludente oder vermutete Ersatzerbfolge (§ 2099 BGB) ausgeschlossen ist.
b) Die Nacherben und ihr Nacherbenanwartschaftsrecht
Rz. 13
Bereits mit dem Tod des Erblassers hat auch der Nacherbe eine eigene erbrechtliche Rechtsstellung. Er ist mit Blick auf seine künftige Erbenstellung Inhaber eines Anwartschaftsrechts an der Erbschaft.
Rz. 14
Vorbehaltlich anderweitiger Anordnungen des Erblassers ist die Nacherbenanwartschaft vererblich und übertragbar (§ 2108 Abs. 2 BGB). Mitnacherben- und Alleinnacherben können während der Zeit der Vorerbschaft analog § 2033 Abs. 1 BGB über ihr Anwartschaftsrecht verfügen. Das Anwartschaftsrecht erstreckt sich jedoch auf den Gesamtnachlass oder auf den Erbteil auf den er berufen ist, nicht auf einzelne Nachlassgegenstände. Eine Übertragung oder ein Verzicht auf ein Anwartschaftsrecht an einzelnen Nachlassgegenständen ist daher ausgeschlossen.
Rz. 15
Die Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft kann durch eine ausdrückliche Ersatznacherbenbenennung ausgeschlossen sein. Das Verhältnis zwischen Vererblichkeit und Ersatzerbenbenennung ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung zu klären. Eine allgemein gültige Regel lässt sich jedoch nicht formulieren. Es ist stets eine Einzelfallentscheidung anhand der konkreten Umstände zu treffen. Dem Erblasser ist daher zu raten, die Ersatzerbenbenennung eindeutig zu formulieren. Überzeugend sind folgende Formulierungsempfehlungen von J. Mayer
Formulierungsbeispiel: Ersatzerbenbenennung
Abweichend von anders lautenden gesetzlichen Auslegungs-, Vermutungs- und Ergänzungsregeln und anderen gesetzlichen Bestimmungen wird zum (alleinigen) Ersatz(nach)erben bestimmt (…).
und Kössinger:
Formulierungsbeispiel: Vererbung und Übertragung
Die Nacherbenanwartschaft ist weder vererblich noch veräußerlich, ausgenommen die Veräußerung an den Vorerben. In diesem Fall entfällt auch jede ausdrückliche oder stillschweigende Ersatznacherbeinsetzung.
Rz. 16
Sind mehrere Nacherben berufen, bilden diese vor Eintritt des Nacherbfalls keine Erbengemeinschaft. Eine gesamthänderische Bindung kommt nicht in Betracht. Sie können – und müssen – ihre Rechte jeweils selbst geltend machen. Sie sind zu Leistungsforderungen an sich selbst berechtigt. Erbringt ein Vorerbe eine Leistung gegenüber einem Nacherben, erlischt diese nur demjenigen Nacherben gegenüber. Umgekehrt müssen Mitwirkungshandlungen von jedem Nacherben verlangt werden.
Rz. 17
Eine Ausnahme von der Eigenverantwortlichkeit jedes Nacherben wird für die Pflicht zur Erstellung eines Verzeichnisses über den Bestand des Nachlasses nach § 2121 Abs. 1 BGB diskutiert. § 2121 Abs. 1 BGB schafft im Interesse von Vor- und Nacherben ein Beweismittel, welches die vermögensrechtliche Abwicklung zwischen Vor- und Nacherben nach Eintritt des Nacherbfalls ermöglichen soll. Den Anspruch können Nacherben während der gesamten Zeit der Vorerbschaft geltend machen, soweit der Anspruch nicht nach § 199 Abs. 3a BGB verjährt ist. Er erlischt erst mit Eintritt des Nacherbfalls. Der Anspruch auf Erstellung des Verzeichnisses ist grundsätzlich einmalig, d.h. ein Nacherbe kann das Verzeichnis nach § 2121 Abs. 1 BGB während der Vorerbzeit nur einmal fordern, der Vorerbe wiederum ist nur zur einmaligen Erstellung des Verzeichnisses verpflichtet. Daraus folgern Muscheler und Grunsky, dass bei mehreren Nacherben nur einer zur Forderung des Verzeichnisses berechtigt sei. Ansonsten würde der eigentlich einmalige Anspruch...