Dr. Andreas Fink, Dr. iur. Simon Kohm
I. Typischer Sachverhalt
Rz. 10
Im Rahmen eines Vergabeverfahrens hat ein öffentlicher Auftraggeber einem Bieter mitgeteilt, dass ein anderer Bieter den Zuschlag erhalten soll. Der nicht berücksichtigte Bieter hält die Gründe für vergaberechtswidrig. Er hat bei der Vergabekammer einen Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gestellt. Hierdurch ist der öffentliche Auftraggeber gehindert, einen anderen Bieter zu beauftragen. Der öffentliche Auftraggeber ist der Auffassung, dass es zwingend erforderlich sei, den Zuschlag unverzüglich zu erteilen.
II. Rechtliche Grundlagen
Rz. 11
Bei Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens durch einen nicht berücksichtigten Bieter entsteht in der Regel für den öffentlichen Auftraggeber zumindest eine Zeitverzögerung in Bezug auf die Verwirklichung des Projektes. In der Regel hat der öffentliche Auftraggeber diese nicht einkalkuliert. Das Nachprüfungsverfahren ist zwar als beschleunigtes Verfahren ausgestaltet. Nach § 167 Abs. 1 S. 1 GWB soll die Vergabekammer eine Entscheidung innerhalb einer Frist von fünf Wochen ab Eingang des Antrags begründen. Hiergegen kann jedoch die sofortige Beschwerde beim zuständigen Oberlandesgericht eingelegt werden. Die Beschwerdefrist beträgt gem. § 172 Abs. 1 GWB zwei Wochen. Zum einen besteht aber für die Vergabekammern das Recht, die Fünf-Wochen-Frist mit entsprechender Begründung zu verlängern (§ 167 Abs. 1 S. 2 GWB). In der Praxis und bei vielen überlasteten Vergabekammern kann dies einen Verzug von bis zu mehreren Monaten bedeuten. Zum anderen muss im Falle der sofortigen Beschwerde die Entscheidung des Oberlandesgerichts abgewartet werden (§ 173 Abs. 1 S. 1 GWB). Eine Frist, innerhalb derer das Oberlandesgericht zu entscheiden hat, sieht das Gesetz nicht vor.
Rz. 12
Aufgrund dessen enthält § 169 Abs. 2 S. 1 GWB das Recht des öffentlichen Auftraggebers, einen Antrag zu stellen, den Zuschlag vorab erteilen zu dürfen. In der Neufassung des GWB 2009 wurde dieses Recht für das Unternehmen erweitert, das nach § 134 GWB vom Auftraggeber als Unternehmen benannt wurde, das den Zuschlag erhalten soll. Dabei handelt es sich in der Regel um das nach § 162 S. 1 GWB im Nachprüfungsverfahren beizuladende Unternehmen. An dieser Regelung hat sich auch mit der Reform des GWB 2016 nichts geändert. Dieser Antrag kann während der gesamten Dauer des Nachprüfungsverfahrens durch den Auftraggeber gestellt werden. Falls die Vergabekammer diesen Antrag als begründet ansieht, wird dem öffentlichen Auftraggeber zugestanden, zwei Wochen nach dieser Eilentscheidung den Zuschlag an einen Bieter zu erteilen, um den geplanten Auftrag zügig abwickeln zu können. In der Sache handelt es sich hierbei um eine Vorwegnahme der Hauptsache, da der Bieter im Falle einer solchen Eilentscheidung sein Hauptziel, den Zuschlag und damit den angestrebten Auftrag zu erhalten, nicht mehr erreichen kann. Im Nachprüfungsverfahren bleibt nur noch die Möglichkeit festzustellen, dass ein Rechtsverstoß im Vergabeverfahren vorgelegen hat und der Bieter hierdurch in seinen Rechten verletzt wurde. Hieraus können Schadensersatzansprüche zugunsten des Bieters erwachsen.
Rz. 13
Im Falle eines Antrags nach § 169 Abs. 2 S. 1 GWB hat die Vergabekammer eine Interessenabwägung vorzunehmen. Die mit der Neuerung des GWB 2009 in den § 115 Abs. 2 a.F. eingefügten und 2016 wortgleich in den neuen § 169 Abs. 2 übernommenen Sätze 2 bis 4 enthalten weitere Aspekte, die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind. Das Interesse des Bieters, in einem möglicherweise rechtswidrigen Vergabeverfahren noch den Zuschlag zu erhalten, ist dem Interesse des öffentlichen Auftraggebers sowie der Allgemeinheit an einer zügigen Auftragserteilung des bevorzugten Bieters gegenüberzustellen. In Satz 2 wird das Interesse der Allgemeinheit näher beschrieben. Fraglich bleibt jedoch, was im Einzelnen unter einer "wirtschaftlichen Erfüllung der Aufgaben des Auftraggebers" zu verstehen ist. Fest steht, dass Verteuerungen aufgrund der Verzögerung der Zuschlagserteilung alleine nicht ausreichen. Vielmehr müssen darüber hinausgehende außergewöhnliche Umstände hinzukommen, welche die Erfüllung der Aufgaben des öffentlichen Auftraggebers erheblich gefährden. Mangels Präzisierung im Wortlaut hat sich an dieser Fragestellung auch mit der neuerlichen Reform nichts geändert. Weiterhin berücksichtigt die Vergabekammer gem. § 169 Abs. 2 S. 3 GWB auch die allgemeinen Aussichten des Antragstellers im Vergabeverfahren, den begehrten Auftrag zu erhalten. Die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags selbst finden grundsätzlich ebenfalls Berücksichtigung, müssen aber gem. § 169 Abs. 2 S. 4 GWB nicht in jedem Fall Gegenstand der Abwägung sein. Hiervon kann abgesehen werden, sofern Gründe ersichtlich sind, deren Berücksichtigung eine erhebliche Verzögerung bedeuten würde, wie beispielsweise das Vorliegen einer besonders komplexen Tatsachen- oder Rechtslage. Mangelnde Erfolgsaussichten genügen allerdings für sich genommen regelmäßig nicht zur Rechtfertigung eines vorzeitigen Zuschla...