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Das AG Nienburg[273] erlaubt Dashcam-Aufzeichnungen als Beweismaterial soweit die Aufzeichnungen anlassbezogen und damit im Einklang mit Datenschutzrecht erstellt worden sind, wenn die Kamera nicht dauerhaft gelaufen, sondern vom Nutzer erst eingeschaltet worden sei, als die Auseinandersetzung bereits begonnen hatte. In einem solchen Fall dürfe die abstrakte Furcht vor einer allgegenwärtigen Datenerhebung nicht dazu führen, dass den Bürgern "sachgerechte technische Hilfsmittel zur effektiven Rechtsverfolgung kategorisch vorenthalten werden".[274]

Eine Angst vor Missbrauch der Aufzeichnung ändert an diesem Ergebnis nichts.[275]

[273] AG Nienburg, Urt. v. 20.1.2015 – 4 Ds 155/14, DAR 2015, 280.
[274] Der Angeklagte fuhr dem vor ihm fahrenden Zeugen auf einer Autobahn bei Tempo 100 dicht auf und überholte ihn bei nächster Gelegenheit. Sofort danach scherte er auf die Fahrbahn des Zeugen ein und bremste deutlich ab. Um einem Unfall zu entgehen, wich der Zeuge auf die linke Spur aus und überholt nun seinerseits dank überschießender Geschwindigkeit den Angeklagten. Dieser fuhr nun erneut nach links, bis der Seitenabstand zwischen den beiden Fahrzeugen nur noch etwa 5 cm betrug. Angeklagter sowie Zeuge fuhren kurze Zeit später auf einen Parkplatz, auf dem der Angeklagte den Zeugen heftig beschimpfte. Bereits kurz nach dem dichten Auffahren hatte der Zeuge die in seinem Fahrzeug befestigte Dashcam aktiviert, um einen eventuellen Unfall dokumentieren zu können. Die Dashcam war an seiner Frontscheibe befestigt und filmte den Fahrbahnbereich unmittelbar vor seinem Fahrzeug. Der Angeklagte wurde wegen Nötigung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt (§§ 240, 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1, 52 StGB). Vor Gericht wurden die Dashcam-Aufzeichnungen des Zeugen als Beweismittel zugelassen. Das Gericht sah weder ein Beweiserhebungs-, noch ein Beweisverwertungsverbot, weil die Anfertigung der Kameraaufzeichnung gemäß § 4 Abs. 1 BDSG in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung des § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG zulässig gewesen sei. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Zeugen an der Anfertigung der Aufzeichnung zum Zwecke der Beweissicherung und dem Interesse des Angeklagten an der Unverletzlichkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung überwiege hier das Interesse des Zeugen. Maßgeblich sei insoweit, dass die kurze, anlassbezogene Aufzeichnung nur die Fahrzeuge, aber nicht die Insassen der Fahrzeuge abbilde und nur Vorgänge erfasse, die sich im öffentlichen Straßenverkehr ereignen. Der Eingriff in das Recht des Angeklagten sei daher denkbar gering, während das Interesse des Zeugen an einem effektiven Rechtsschutz besonders hoch sei. Denn gerade die gerichtliche Aufklärung von Verkehrsunfallereignissen leide fast ausnahmslos unter dem Mangel an verlässlichen, objektiven Beweismitteln.
[275] Dementsprechend könne nicht entgegengehalten werden, dass die Aufzeichnung möglicherweise später unzulässig im Internet veröffentlicht oder zu anderweiten Zwecken missbraucht werden könnte. Die Gefahr des späteren Missbrauchs von ursprünglich zulässig gefertigten Beweismitteln bestehe immer. Die dem Einwand zugrundeliegende abstrakte Furcht vor allgegenwärtiger Datenerhebung und dem Übergang zum Orwell‘schen Überwachungsstaat dürfe aber nicht dazu führen, dass den Bürgern sachgerechte technische Hilfsmittel zur effektiven Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung kategorisch vorenthalten werden.

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