André Schah-Sedi, Dr. Michael Nugel
Rz. 361
In der Praxis spielen Abfindungsvergleiche eine Rolle bei Abfindungen bzw. Kapitalisierung für einen künftigen Erwerbsschaden oder bei Ersatz des Schadens für entgangene Dienstleistungen, z.B. der Ehefrau, bzw. des Haushaltsschadens oder des Unterhaltsanspruchs oder des Anspruchs für vermehrte Bedürfnisse. Für das Schmerzensgeld kommt regelmäßig die Vereinbarung eines Kapitalbetrages in Betracht, orientiert an den Erfahrungswerten der maßgebenden Tabellen und vergleichbaren Entscheidungen. Die Gewährung einer Schmerzensgeldrente bildet die unbedingte Ausnahme.
Rz. 362
Ein Abfindungsvergleich ist grds. für beide Seiten verbindlich und Nachforderungen des Geschädigten sind auch bei neuen negativen Entwicklungen grds. ausgeschlossen. Nur in besonderen Ausnahmefällen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Haftpflichtversicherer treuwidrig i.S.d. § 242 handelt, wenn er sich auf die Ausschlusswirkung einer solchen Abfindungsvereinbarung beruft. Eine solche unzulässige Rechtsausübung ist nur in besonderen Ausnahmefällen gegeben. Für eine Anpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage muss es sich um Verletzungen/Spätschäden handeln, die von den Parteien bei Abschluss des Abfindungsvergleiches weder erwartet worden sind noch erkannt werden konnten. Die Berufung seitens des Schädigers auf den Abfindungsvergleich kann ferner rechtsmissbräuchlich sein, wenn durch den Eintritt der späteren Verletzungen zwischen dem nun bestehenden Schaden und der gezahlten Vergleichssumme ein krasses Missverhältnis besteht. An eine solche "krasse" Äquivalenzstörung werden strenge Anforderungen gestellt. Teilweise wird gefordert, dass der tatsächliche Schaden die Vergleichssumme um ein Zehnfaches übersteigen muss, damit für den Geschädigte ein Festhalten am Abfindungsvergleich eine unzumutbare Härte darstellt. Teilweise ist auch bei einem Anstieg des tatsächlichen Schadens um gut 500 % eine unzumutbare Härte angenommen worden.
Angesichts dieses besonderen Risikos ist bei einer grundsätzlichen Entscheidung für eine Kapitalisierung ist seitens des Geschädigten bzw. des ihn vertretenden Anwaltes daran zu denken, ob nicht bestimmte mögliche Entwicklungen in Betracht kommen, die nicht endgültig zu übersehen sind, z.B. unvoraussehbare mögliche Verschlechterungen der Gesundheit und risikoreiche Gesundheitsbehandlungen oder Operationen und die mit einem Vorbehalt ausgenommen werden. Möglichst präzise sind die tatsächlichen Voraussetzungen des Vorbehalts zu formulieren. Sofern und soweit steuerliche Konsequenzen einer Kapitalabfindung nicht endgültig beurteilt werden können, sollte ein Vorbehalt in den Abfindungsvereinbarungen aufgenommen werden, wonach evtl. steuerliche Belastungen, die sich aus der Kapitalisierungsvereinbarung ergeben, zusätzlich zu erstatten sind. Besonders zu beachten sind die Auswirkungen bei Inanspruchnahme von Leistungen aus der Pflegeversicherung.
Formulierungsbeispiel
"Die Abfindungsvereinbarung betrifft folgende Ansprüche:"
▪ |
z.B. Erwerbsschaden (…) für die Zeit vom (…) bis (…) |
▪ |
Schmerzensgeld (…) |
▪ |
Unterhaltsansprüche für die Zeit vom (…) bis (…) |
Vorbehalten bleiben folgende Ansprüche:
▪ |
(z.B.) Erwerbsschaden (…) für die Zeit vom (…) bis (…)“ |
▪ |
Ansprüche aus der Verschlimmerung der Beweglichkeit des rechten Armgelenks über den Grad von (…) hinaus.“ |
Rz. 363
Dabei ist darauf zu achten, dass der Anspruch des Geschädigten nicht verjährt. Diesem kann dadurch begegnet werden, dass der VR auf die Einrede der Verjährung verzichtet oder eine Einstandspflicht mit Bindungswirkung eines Feststellungsurteils erklärt. Bei letzterer Erklärung ist die kurze Verjährungspflicht der §§ 197 Abs. 2, 195 BGB von drei Jahren besonders zu berücksichtigen.
Im Übrigen ist zu beachten, dass über Ansprüche, die kraft Gesetzes auf einen anderen Leistungsträger übergegangen sind, nicht verfügt werden kann. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Leistungen von Sozialversicherungsträgern, speziell auch aus der Pflegeversicherung. Für die private Pflegeversicherung gilt der Übergang gem. § 67 VVG a.F. bzw. § 86 VVG mit Zahlung der Leistungen.