André Schah-Sedi, Dr. Michael Nugel
Rz. 311
Ein echter Totalschaden liegt nicht nur vor bei vollständigem Untergang oder totaler Vernichtung der Sache, sondern auch dann, wenn nach wirtschaftlicher Betrachtung die beschädigte Sache nicht reparaturwürdig ist. Dann liegt "wirtschaftlicher Totalschaden" vor, bei dem die Wiederherstellungskosten erheblich höher sind als eine Ersatzbeschaffung und die Reparaturkosten unverhältnismäßig hoch sind im Vergleich zur Ersatzbeschaffung. Bei Totalschaden ist der Wiederbeschaffungswert zu ersetzen einschließlich der Kosten für eine gründliche technische Prüfung.
Rz. 312
Bei allen Formen des Totalschadens hat der Geschädigte Anspruch auf ein gleichartiges und gleichwertiges Ersatzfahrzeug, also auf den Wiederbeschaffungswert, muss sich aber i.d.R. auch den Restwert anrechnen lassen.
Es entspricht dem Grundsatz des Schadenausgleiches, dass zu Lasten des Geschädigten anfallende Entsorgungskosten gem. §§ 249 ff. BGB zu erstatten sind.
a) Entschädigung auf Neuwagenbasis
Rz. 313
Entschädigung auf Neuwagenbasis kann nur dann beansprucht werden, wenn trotz eines reparaturfähigen Schadens die Weiterbenutzung des reparierten bzw. zu reparierenden Fahrzeugs nicht zugemutet werden kann. Dafür muss ein neuwertiges Fahrzeug einen erheblichen Fahrzeugschaden erlitten haben. Die Einstufung als Neufahrzeug setzt grds. ein Alter von nicht mehr als einem Monat und eine Laufleistung von nicht mehr als 1.000 km, im Ausnahmefall bis zu 3.000 km voraus. Auch muss der Geschädigte ein Neufahrzeug tatsächlich erworben haben.
b) Wiederbeschaffungswert
Rz. 314
Der Wiederbeschaffungswert ist bei Totalschaden zu ersetzen einschließlich der Kosten für eine gründliche technische Überprüfung. Es ist von dem Grundsatz auszugehen, dass der Schädiger diejenigen Mittel bereitzustellen hat, die ein verständiger Fahrzeugeigentümer in der besonderen Lage des Geschädigten aufzuwenden hat, und diesen wirtschaftlich so zu stellen wie vor dem schädigenden Ereignis, ohne Rücksicht darauf, wie er die Ersatzleistung verwendet. Jedoch bleibt ein Affektions- oder Liebhaberwert, der über den Ersatz des wirtschaftlichen Schadens hinausgeht, unersetzt.
c) Problematik des Restwerts
Rz. 315
Besondere Probleme ergeben sich bei der Abrechnung des wirtschaftlichen Totalschadens hinsichtlich der Verwertung und Berechnung der Restwerte. Die Frage, welche Anstrengungen der Geschädigte zu unternehmen hat, um die Restwerte möglichst günstig zu veräußern, ist gem. § 254 BGB zu beurteilen. Gem. § 254 BGB sind zwei Aspekte zu berücksichtigen und zu unterscheiden, nämlich
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die Verpflichtung zur Einholung von Angeboten oder das Abwarten eines Angebotes seitens der Versicherung sowie |
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die zeitliche Grenze der Zumutbarkeit des Wartens mit der Verwertung. |
Als Grundsatz gilt: Der Geschädigte muss sich den Restwert entgegenhalten lassen, den der Sachverständige auf dem regionalen Markt ermittelt hat. Nur wenn der VR rechtzeitig vor Veräußerung des Fahrzeugs dem Geschädigten ein verbindliches Restwertangebot übermittelt, das dieser ohne weiteren Aufwand nur noch anzunehmen braucht, muss der Geschädigte sich diesen höheren Restwert anrechnen lassen – es sei denn, der Geschädigte nutzt das Fahrzeug weiter.
Rz. 316
Dem Geschädigten verbleibt bei einer Abrechnung auf Basis des Wiederbeschaffungsaufwandes im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB regelmäßig dann ein Risiko, wenn er den Restwert ohne hinreichende Absicherung durch ein eigenes Gutachten realisiert und der Erlös sich später im Prozess als zu niedrig erweist. Will er dieses Risiko vermeiden, muss er sich vor dem Verkauf des beschädigten Fahrzeugs mit dem Haftpflichtversicherer abstimmen oder aber ein eigenes Gutachten mit einer korrekten Wertermittlung einholen, auf dessen Grundlage er die Schadensberechnung vornehmen kann. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Sachverständige als ausreichende Schätzgrundlage entsprechend der Empfehlung des 40. Deutschen Verkehrsgerichtstags aus dem Jahr 2002 drei Angebote eingeholt hat und dies für den Geschädigten deshalb erkennbar gewesen ist, weil die Angebote im Gutachten als solche ausgewiesen werden. Andernfalls wird der Geschädigte nicht geschützt und muss sich auf den zutreffenden Restwert aus dem örtlichen Markt verweisen lassen, der ggf. im Prozess durch Einholung eines Sachverständigengutachtens im Auftrag des Gerichts zu bestimmen ist.