André Schah-Sedi, Dr. Michael Nugel
aa) Vor und nach Eintritt des Versicherungsfalles
Rz. 406
Die dem VN vertraglich auferlegten Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalles sind abschließend in § 5 PflVG vorgegeben, d.h. sie bleiben auch im neuen VVG dieselben und sind nunmehr in D.1 bzw. D.2 AKB 2008 geregelt. Danach kann Leistungsfreiheit eintreten bei Verwendung des Fahrzeugs
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zu einem anderen als im Versicherungsantrag angegebenen Zweck; |
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durch einen unberechtigten Fahrer; |
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ohne die dafür erforderliche Fahrerlaubnis; |
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zu Wettrennen; |
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unter Einfluss alkoholischer Getränke, wenn dadurch das Fahrzeug nicht mehr sicher geführt werden kann. |
Rz. 407
Wird einer Obliegenheit zuwider gehandelt, kann dies dazu führen, dass der VR im Innenverhältnis zum VN oder der mitversicherten Person ganz oder teilweise gem. § 28 Abs. 2 VVG leistungsfrei wird. Dies ändert wie dargelegt jedoch nichts an der Verpflichtung des VR, die berechtigten Ansprüche des Geschädigten auf Schadensersatz aus Anlass des Schadensfalls zu befriedigen. Es gilt insoweit der aus § 115 VVG resultierende Direktanspruch. Die teilweise oder vollständige Leistungsfreiheit berechtigt den VR also "lediglich" dazu, den VN in entsprechender Höhe in Regress zu nehmen.
Rz. 408
Die Obliegenheiten in der Kfz-Haftpflichtversicherung nach dem Versicherungsfall werden in den seit 2008 geltenden AKB in Abschnitt E AKB 2015 geregelt. Rechtsfolge der Obliegenheitsverletzung in der Kfz-Haftpflichtversicherung nach dem Versicherungsfall ist ebenfalls die beschränkte Leistungsfreiheit des VR. Der Regress wird gem. § 6 Abs. 1 KfzPflVV i.d.R. auf 2.500 EUR, in besonders schwerwiegenden Fällen auf 5.000 EUR beschränkt.
Rz. 409
Genau wie bei einer Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalls gilt auch bei einer Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls, dass der VR lediglich bei einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung im vollen Umfang leistungsfrei wird. Im Fall der grob fahrlässig begangenen Obliegenheitsverletzung steht dem VR ein vom ihm auszuübendes Leistungskürzungsrecht zu, welches sich an der Schwere des Verschuldens zu orientieren hat.
bb) Kausalitätsgegenbeweis
Rz. 410
Von besonderer Bedeutung ist, dass der VN eine Leistungskürzung des VR verhindern kann, wenn er nachweist, dass seine Obliegenheitsverletzung sich weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellungen des VR zu einer Leistungsverpflichtung dem Grunde oder der Höhe nach ausgewirkt hat (§ 28 Abs. 3 S. 1 VVG). Der VR wird nur (in der Höhe) leistungsfrei, soweit sich die Obliegenheitsverletzung ausgewirkt hat. Zeigt der VN einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung den Versicherungsfall bspw. nicht innerhalb der in den AKB vorgesehenen Wochenfrist an, erklärt jedoch der Geschädigte den Sachverhalt umfassend und vollständig dem VR, so kann dieser selbst bei einer angenommenen vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung des eigenen VN nicht leistungsfrei werden, da diese sich nicht ursächlich auf die Feststellungen des VR zum Schadensfall ausgewirkt hat. Der Kausalitätsgegenbeweis setzt voraus, dass erstens sich alle bereits aus dem Sachverhalt und zweitens alle weiteren Einwendungen des VR zu der behaupteten fehlenden Ursächlichkeit beseitigt werden und der Nachweis erbracht wird, dass die Obliegenheitsverletzung sich weder auf den Eintritt noch die Feststellungen des VR zum Versicherungsfall und dem Umfang der Eintrittspflicht ausgewirkt hat.
Damit der VN jedoch nicht risikolos derartige Falschangaben tätigen kann, hat der Gesetzgeber in § 28 Abs. 3 S. 2 VVG eine Leistungsfreiheit des VR trotz fehlender Kausalität der Falschangabe vorgesehen, wenn der VN arglistig gehandelt hat. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu, dass der betrügerische VN nicht geschützt werden dürfe. Diese Begründung ist aber zu eng gefasst und verkennt die Reichweite des in der Rechtsprechung entwickelten Arglistbegriffs. Für die Annahme einer Arglist genügt es, dass der VN mit einer Falschangabe einen gegen die Interessen des VR gerichteten Zweck verfolgt, etwa indem er Schwierigkeiten bei der Durchsetzung (ggf. auch berechtigter) Ansprüche ausräumen will und weiß, dass sein Verhalten den VR bei der Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Es genügt dabei, wenn der VN den VR vorsorglich von weiteren Ermittlungen abhalten will. Im Fall eines arglistigen Fehlverhaltens ist der VN nicht schützenswert und es bedarf keiner Belehrung über die Folgen einer falschen Auskunft.