André Schah-Sedi, Dr. Michael Nugel
Rz. 19
Die 54. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (StVO-Novelle 2020), welche am 28.4.2020 in Kraft getreten ist, enthält u.a. Änderungen der StVO, der Bußgeldkatalog-Verordnung sowie der Fahrerlaubnisverordnung. Durch diese Novelle ist es insbesondere bei Geschwindigkeitsverstößen zu einer Verschärfung der Geldbußen, Fahrverbote und Punkte im Fahreignungsregister gekommen.
Bei der Novelle ist jedoch das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG nicht beachtet worden. Nach Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG muss in einer zu erlassenden Rechtsverordnung die entsprechende Rechtsgrundlage angegeben werden. In der 54. VO sind in der Eingangsformel lediglich § 26a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG genannt worden, vergessen wurde dagegen, § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG als Ermächtigungsgrundlage zu benennen. § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG bezieht sich auf die Anordnung des Fahrverbotes nach § 25 StVG. Der Verordnungsgeber hat also vergessen, die Ermächtigungsgrundlage für die in der VO genannten Fahrverbote zu benennen.
Nach der Rspr. des BVerfG führt eine Verletzung des Zitiergebots nach Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG grundsätzlich zur Nichtigkeit der gesamten VO. Dies bedeutet, dass sämtliche Regelungen der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften nichtig sind. Um rechtswirksam entsprechende Änderungen der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften vorzunehmen, müssten die entsprechenden Bundesminister einschließlich der Zustimmung des Bundesrats eine wirksame neue Verordnung erlassen, die bisher an der fehlenden Einigung der Bundesländer gescheitert ist. Die meisten Bundesländer haben jedoch aufgrund der Nichtigkeit der VO die Ordnungsbehörden angewiesen, diese VO nicht anzuwenden, sondern bei etwaigen Geschwindigkeitsverstößen die alte BKatV anzuwenden.
Rz. 20
Der Rechtsanwalt, der mit der Überprüfung etwaiger Geschwindigkeitsverstöße seines Mandanten beauftragt ist, sollte daher darauf achten, wann der entsprechende Verstoß erfolgt ist:
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Handelt es sich um einen Verstoß, der vor dem 28.4.2020 (Inkrafttreten der StVO-Novelle 2020) begangen worden ist, müssen sich auch die Sanktionen im Bußgeldbescheid auf die alte BKatV beziehen. |
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Bei Verstößen, die nach dem 28.4.2020 begangen worden sind, muss der Anwalt darauf achten, dass die Behörde wegen der Nichtigkeit der 54. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften in den Bußgeldbescheiden die alte BKatV anwendet. |
Wendet die Behörde dagegen die neue BKatV aus der 54. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften an, muss der beauftragte Rechtsanwalt dies monieren und insbesondere darauf achten, dass etwaige Fahrverbote nicht vollzogen werden.
Rz. 21
Hinsichtlich der weiteren Entwicklung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, insbesondere der BKatV, sollte der beauftragte Verteidiger § 4 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 OWiG beachten:
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Nach § 4 Abs. 1 OWiG bestimmt sich die Geldbuße nach dem Gesetz, das zur Zeit der Handlung gilt. |
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Nach § 4 Abs. 3 OWiG ist das mildeste Gesetz anzuwenden, wenn das Gesetz, das bei Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert wird. |
Rz. 22
Aufgrund der Nichtigkeit der gesamten 54. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften und damit auch der in dieser Verordnung enthaltenen Verschärfungen der Sanktionen für Geschwindigkeitsverstöße sind vorliegend die Sanktionen für Geschwindigkeitsverstöße nach der alten BKatV genannt.